Ingolstadt
"Frauen sind kein Freiwild"

Nach sexuellem Übergriff in Sakristei soll Asylbewerber für drei Jahre in Haft

27.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:29 Uhr

Ingolstadt/Wellheim (DK) Mit einem Urteil in dieser Höhe hat er definitiv nicht gerechnet: Das Ingolstädter Amtsgericht verhängte gestern eine Haftstrafe von drei Jahren gegen den Asylbewerber, der unter anderem die Mesnerin aus Wellheim in der Sakristei bedrängt hatte.

Was sich im vergangenen Dezember in der Sakristei der Wellheimer Kirche abspielte, fasste Richter Christian Veh mit Blick auf den Angeklagten so zusammen: "Kein Zweifel, es war Ihr Ziel, sie zu vergewaltigen." Doch die Mesnerin konnte sich dem Griff des Mannes, der sich mit wohl heruntergelassener Hose an sie drückte, entwinden. Und sie hat den Vorfall "gottseidank gut weggesteckt", wie Veh berichtete. Auch über das zweite Opfer: Eine Studentin, die an Silvester in einem Eichstätter Altenheim arbeitete, war ebenfalls vom (vollständig bekleideten) Angeklagten durch "Beischlaf-ähnliche Bewegungen" (Veh) bedrängt worden. Auch sie war zunächst "total fertig", wie die 24-Jährige gestern dem Gericht erzählte.

Regelrecht geschockt reagierte nun der Verurteilte auf das Strafmaß, das Richter Veh und die beiden Laienrichter verhängten. "Drei Jahre? Im Gefängnis", fragte der wohl 31 Jahre alte Flüchtling in gebrochenem Englisch. Er gehe keinesfalls zurück "in dieses Gefängnis", rief der Mann aus Nigeria und warf sich schließlich auf den Boden. Nach kurzer Zeit hatten die Vorführbeamten der Polizei ihn aber durch Zureden zur Vernunft gebracht und geleiteten ihn zum Auto.

"So benimmt man sich nicht! Nicht nur in Deutschland nicht, sondern in keinem Land der Welt!" Es waren deutliche Worte, die Veh in der Urteilsbegründung verloren hatte. "Frauen sind kein Freiwild!" Hinter ihm lag ein sehr emotionaler Prozess, nicht nur wegen des aufbrausenden Angeklagten.

Beinahe wären seine Taten gar nicht verfolgt worden. Die Frauen hatten anfangs tatsächlich wegen der öffentlichen Wirkung gezögert, zur Polizei zu gehen. "Wir sehen hier, wie wichtig es ist", appellierte der Richter, "solche massiven Straftaten anzuzeigen." Bekanntlich ging alles erst los, als der Wellheimer Ortspfarrer Hetzkommentare im Internet "geliket" hatte und dadurch öffentlich ins Gerede kam. Davor waren längst Gerüchte ins Kraut geschossen.

Der Angeklagte beschrieb die Szene in der Sakristei als harmlose Berührung. An den Vorfall im Altenheim könne er sich gar nicht erinnern. Das waren die zwei Fälle aus der Anklage, aber nur "die Spitze des Eisbergs". Wiederkehrend sei es bei dem Angeklagten "zu Distanzlosigkeiten bei Frauen" gekommen, beschrieb Veh. Die Palette reichte von einfachen Berührungen und wohl fast plumpen Annäherungen bis hin zu den beiden gröberen strafrechtlich relevanten Übergriffen. Und zwar fast nahtlos, seit der Asylbewerber im Herbst nach Deutschland eingereist war. Schon im Aufnahmelager bei Fürstenfeldbruck hatte er einer Regierungsbeamtin an die Brust gefasst.

Die Häufigkeit blieb in den Asyllagern und bei den Betreuern nicht unbemerkt. Auch dass der oft verwirrt wirkende Flüchtling immer wieder davon redete, er brauche "dringend eine Frau". Und dass die Stimme Gottes zu ihm spreche. Auf Drängen der Betreuer begab sich der Mann ziemlich bald (freiwillig) in psychologische Behandlung und war für einige Tage in München-Haar untergebracht, wo man eine "polymorphe akute psychologische Störung" diagnostizierte. Um ihn länger dort zu behalten, reichte es offenbar nicht. Auf seinen Wunsch hin wurde der Patient entlassen und kam nach Wellheim, wo die "Distanzlosigkeiten" weitergingen.

Ist der Mann überhaupt zurechnungsfähig? Diese Frage beantwortete der Landgerichtsarzt Roman Steinkirchner dem Gericht: Der Angeklagte besitzt zwar eine deutlich "dranghafte, dysfunktionale Sexualität", ist aber voll schuldfähig, weil er (den Schilderungen der Zeuginnen folgend) "zielstrebiges und kontrolliertes Verhalten" zeigte. "Es bleibt ein klarer Realitätsbezug", so Steinkirchner. Der Angeklagte ließ von seinen Opfern ab, als er merkte, er kommt nicht weiter.

Auch die Stimme Gottes, die der Mann angeblich hört, ist für Steinkirchner keine Wahnvorstellung. Tatsächlich werde in Nigeria und anderen Ländern die Gläubigkeit "mit sehr bildhaften Vorstellungen Gottes" gelebt, berichtete der Arzt von Erfahrungen aus seinem persönlichen Umfeld.

Die Aussagen der Frauen fanden Gericht und Staatsanwalt sowie sogar Pflichtverteidiger Stefan Roeder als absolut glaubhaft. Sie bewerteten das Gehörte nur unterschiedlich. Ankläger Jürgen Staudt sah in den beiden angeklagten Fällen ein gewalttätiges Handeln des Nigerianers (und damit sexuelle Nötigung) als verwirklicht an. Staudt forderte sogar drei Jahre und sechs Monate Haft.

Roeder berief sich dagegen auf Urteile des Bundesgerichtshof, wonach - stark verkürzt - nicht jede körperlich wirkende sexuelle Handlung gleich als Gewalt angesehen werden könne. Roeder beantragte eine Bewährungsstrafe von acht Monaten. Eine Woche hat sein Mandant nun Zeit, um über eine Berufung nachzudenken.