Hitzhofen
Im freien Fall auf Rekordjagd

Stefan Heddesheimer aus Hitzhofen stellte eine neue deutsche Bestmarke im Fallschirmspringen in der Großformation auf

23.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:44 Uhr

Oben und unten: Mit 180 Kilometern pro Stunde geht es in Arizona in Formation dem Erdboden entgegen. Zum Schluss blieben nur vier Sekunden, den Fallschirm zu öffnen (Bild oben). Stefan Heddesheimer (Bild unten, links) und zwei Mitstreiter nach dem Rekordsprung. - Fotos: oh

Hitzhofen (EK) Wenn sich Stefan Heddesheimer nicht gerade mit der Entwicklung neuer Motoren beschäftigt oder in seiner Freizeit auf dem Bike sitzt, bevorzugt er den freien Fall. Jetzt schaffte der Fallschirmspringer einen neuen deutschen Rekord in der Großformation. Zusammen mit 213 anderen Männern und Frauen.

75 Sekunden. So viel Zeit bleibt nach dem Absprung, dem Nebenmann ans Bein zu greifen. 180 Kilometer pro Stunde. So schnell geht es dem Erdboden entgegen, sobald die Springer die Maschine verlassen haben. Zehn Flugzeuge. Sie sind nötig, um die 214 Männer und Frauen auf 5800 Meter Höhe zu bringen. Vier Sekunden. Die Restzeit, die verbleibt, um die Reißleine zu ziehen. Beeindruckende Zahlen. Gleichzeitig die Dimensionen eines neuen deutschen Rekords im Fallschirmsprung in der Großformation.

Aufgestellt wurde er am 24. Oktober im Fallschirmspringer-Paradies Eloy im US-Bundesstaat Arizona, unweit der mexikanischen Grenze. Mit dabei: Stefan Heddesheimer aus Hitzhofen im Landkreis Eichstätt. Der 51-jährige Audi-Ingenieur und zweifache Familienvater springt seit seinem 16. Lebensjahr aus Flugzeugen. Damals noch mit Einwilligung der Eltern. Heute kann er auf etwa 1200 erfolgreiche Landungen am Fallschirm blicken. Nicht besonders viel sei das für die lange Zeit, meint er. Seit acht Jahren betreibt er das adrenalinsteigernde Hobby nach einer längeren Pause wieder intensiver. Bevorzugt in Eisenach in Thüringen, wo im Fallschirmclub Dädalus auch die Idee zu dem Rekordsprung vom Herbst entstand.

Alleine springt er nur noch selten. Das sei kaum noch eine Herausforderung für ihn. „Da frage ich mich beim Fliegen, was mache ich hier eigentlich“, sagt er schulterzuckend. „Es fehlt etwas: das Interaktive. Das zentimetergenaue Fliegen. Das Arbeiten mit den anderen. Die Position halten. Das macht Spaß und bringt einen weiter.“ Wie gut, dass es da – außer ihm – noch andere Flugversessene gibt, denen es in ein paar tausend Meter Höhe alleine zu langweilig ist.

Wie bunte Papierschnipsel flattern sie durch die heiße Luft von Arizona, die 214 Frauen und Männer in ihren roten, gelben und schwarzen Sprunganzügen. Ärzte sind darunter. Bankkaufleute, Polizisten. Aber auch Bäcker und Hausfrauen. Dann, ein paar Wimpernschläge später, bildet sich zwischen Himmel und Erde ein Zentrum aus 40 Springern – die sogenannte Basis – die alle anderen flatternden Körper anzieht wie ein Sog. Arme strecken sich, greifen nach Beinen und anderen Armen. Wie an Fäden gezogen wirkt das alles. Eine Leichtigkeit, die täuscht. Geschähe in der Basis nur die geringste Drehung, müsste jeder Springer nachkorrigieren. Das Chaos wäre vorprogrammiert. „Das Wichtigste sind Disziplin und Präzision“, benennt Heddesheimer die größten Tugenden beim Formationssprung. Hinzu kommen Erfahrung, Übersicht und Kraft. Kraft, die ganze Anspannung durchzuhalten. Nicht jeder Teilnehmer schafft das. Zehn müssen während der harten Trainingstage das Team verlassen. Sei es aus Erschöpfung oder wegen einer Verletzung, wie ein geplatztes Trommelfell oder ein gebrochenes Bein. Ein Dschungelcamp der Lüfte. Heddesheimer aber hält durch: Die akribischen Trockenübungen auf dem Boden. Die gescheiterten Versuche in der Luft, wenn ein Griff ins Leere geht. Bis es dann am vierten Tag endlich klappt: neuer deutscher Rekord! Den alten aus dem Jahr 2008 um 14 Springer überboten.

„Ja, es ist eine Sucht. Im positiven Sinn“, räumt Heddesheimer ein. Und zudem ein nicht ganz billiges Hobby. Rund 3000 Euro hat er sich den Rekord kosten lassen. Hotel und Schrecksekunde inklusive. Ausgerechnet beim entscheidenden Sprung versagt der Fallschirm des Wahlbayers. Zum ersten Mal wieder seit 1982. Heddesheimer aktiviert den Ersatzschirm und landet unversehrt. Wie viele andere mit Tränen in den Augen. „Es war eine Erlösung, als der Rekord da war“, sagt er. „Ich habe noch nie ein so großes Ding gemacht.“ Was bleibt, sind die Erinnerungen, die Bilder und die Ehre. Eine Auszeichnung gab es nicht. „Der olympische Gedanke zählt“, so Heddesheimer. Und die Aussicht auf ein weiteres „großes Ding“. Ob es jemals kommt? Seit Jahren werde versucht, einen Sprung mit 500 Leuten zu organisieren, erzählt er. Im Nahen Osten. Doch die Vorbereitungen liegen auf Eis. „Man soll niemals nie sagen“, sagt er mit einem verräterischen Lächeln. Und denkt dabei offenbar weder an Motoren, noch an sein Bike, sondern – ans Fliegen.

Die Filmclips zum Rekordsprung mit Stefan Heddesheimer gibt es im Internet unter www.eloy2014.de unter dem Link „Videos“.