Gungolding
Integration pur

02.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:58 Uhr
Bei der Jugendkapelle Kipfenberg gibt Andreas Schöpfel mit dem Tenorhorn den Ton an. Die Musik ist seine groß?e Leidenschaft. −Foto: Horst Richter

Gungolding (DK) Andreas Schöpfel aus Gungolding leidet an einer Muskelschwäche, geht aber recht entspannt mit seiner Situation um. Er macht damit vieles leichter. Zum Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember erzählt er seine Geschichte.

Die Entwicklung hatte schleichend begonnen. Als Andreas Schöpfel aus dem Waltinger Ortsteil Gungolding (Kreis Eichstätt), heute 20 Jahre alt, zur Welt kam, schien alles normal zu verlaufen. Ein vermeintlich gesunder Bub, über den die Eltern sich freuten. In seinem zweiten Lebensjahr stellten die Ärzte zwar fest, dass er wohl an einer Muskelschwäche litt, aber sie beeinträchtigte das Kind zunächst nicht. Andreas kam in den Kindergarten und regulär zur Schule, es gab keine Auffälligkeiten. Auch körperlich nicht, etwa beim Turnunterricht. "In der 3. Klasse bin ich sogar Ski gefahren", erzählt der junge Mann. "Das hat Spaß gemacht."

Mit zwölf Jahren war es damit vorbei, seine Muskelschwäche machte sich nun doch zunehmend bemerkbar. Das begann schon bei alltäglichen Dingen wie dem Treppensteigen. "Ich hab' einfach keine Kraft mehr gehabt", erzählt Andreas Schöpfel von den Anfängen seiner Behinderung. Aber er nahm sie hin, "weil ich ein positiv denkender Mensch bin". Obwohl es manchmal nicht so einfach erschien. "Einige Kinder im Dorf haben mich ausgelacht", weiß er noch. Wohl nicht aus Bosheit. Der Spott kam eher aus der Unsicherheit heraus, wie sie mit dem Freund umgehen sollten, jetzt, wo seine Bewegungen zunehmend unkoordiniert und mitunter hölzern wirkten. "Was geht der jetzt auf einmal so komisch", fragten sie. Kinder können sehr hart sein.

Dabei hätten sie sich keine großen Gedanken machen, sondern ihn einfach nur behandeln müssen wie bisher: ganz normal. Für Andreas keine einfache Zeit. "Das hat am Anfang schon wehgetan." Beim Kreuzweg war's, als ein paar Buben ihn zur Osterzeit verlachten, ausgerechnet aus den Reihen der Ministranten heraus. Nur weil er keine Kniebeuge mehr machen konnte. Eine Weile lang wollte er deshalb gar nicht mehr in die Kirche gehen. Aber der 20-Jährige ist nicht nachtragend, zumal solche Dinge längst der Vergangenheit angehören. "Sie haben halt nicht gewusst, was mit mir los ist." Einer der früheren Spötter ist heute sogar einer seiner besten Freunde.

In der Schule machte Andreas weiter konsequent seinen Weg, mit der Mittleren Reife ging er ab. Körperliche Arbeit kommt für ihn nicht infrage, er ließ sich daher zum IT-Systemkaufmann ausbilden. Ein Bereich, der ihm Freude bereitet. Im Juni machte er seinen Abschluss und ging anschließend auf Stellensuche. Es folgte eine Phase, die ihn viel mentale Kraft kostete und weit mehr mit seiner Situation als Mensch mit Behinderung konfrontierte als in der Zeit zuvor.

Alle seine Bewerbungen blieben erfolglos, egal, wen er anschrieb. Klappte es mal mit einem Vorstellungsgespräch, weil er seine Einschränkung im ersten Anschreiben unerwähnt gelassen hatte, musste er sich mitunter schmerzhafte Worte anhören: "Wir können einen wie Sie nicht nehmen, weil wir einen Behinderten nicht mehr loswerden", sagte ihm ein Arbeitgeber knallhart ins Gesicht. Eine kirchliche Einrichtung hielt es nicht mal für nötig, auf Andreas' Bewerbung wenigstens zu antworten, und wenn es die bloße Absage gewesen wäre. Das nagte am Selbstwertgefühl. "Er war da oft niedergeschlagen", sagt seine Mutter Petra Schöpfel. Dann sagte er Sätze wie "Als Behinderter bist du gar nichts wert". Dabei hatte es in manchen Anzeigen sogar geheißen, Behinderte würden bevorzugt eingestellt. "Das ist doch wie eine Watsche", findet Andreas' Mutter im Nachhinein.

Gleichwohl hörte sie nicht auf, dem Sohn Mut zu machen. Und tatsächlich fand sich jetzt eine Stelle in Ingolstadt, seit drei Wochen ist der 20-Jährige nun bei INconnect beschäftigt. Die Arbeitsagentur Ingolstadt hatte mit einem Eingliederungszuschuss mitgeholfen. Neben "Andi", wie sie zu ihm sagen, gehört ein weiterer Behinderter zur rund 25-köpfigen Belegschaft. Keine schlechte Quote.

"Der Andi passt gut zu uns rein", sagt sein Chef Christian Grether. "Er macht seine Arbeit genau wie jeder andere auch." Bereichsleiter Ludwig Fellner zeigt sich ebenfalls zufrieden. Menschen mit Behinderung zu fördern sei "super für die Eingliederung". Ein Gewinn für alle Seiten, heißt es bei der Arbeitsagentur. Andreas Schöpfel nennt sich jetzt "Sachbearbeiter für Planungs- und Projektierungsmaßnahmen" und ist mächtig stolz darauf. Er ist für die Trassenführung bei Glasfaserhausanschlüssen zuständig.

Eigentlich müsste die Woche für den 20-Jährigen weit mehr als sieben Tage haben. Denn neben der Arbeit ist er in seiner Freizeit fest ins Dorfleben eingebunden. Nicht zuletzt deshalb, weil die Eltern ihn nie auf Watte betteten. "Ein Kind muss raus und selber Erfahrungen machen. Wenn es mal hinfällt, steht es wieder auf und hat was dabei gelernt", sagt seine Mutter. Andreas hat offenbar eine ganze Menge für sich entdeckt, etwa die Musik. Er spielt Tenorhorn. "Das Musizieren beruhigt Geist und Seele." Der junge Mann ist Mitglied bei der Gungoldinger Feuerwehr, besucht regelmäßig den Jugendstammtisch, lässt keine Gaudi aus, wie beim Maibaumstehlen, und gehört zum Kreis der Jugendhüttengänger. Wenn er mal Hilfe braucht, kriegt er sie, ohne Wenn und Aber. Nebenbei ist Andreas als Discjockey aktiv, noch ein Hobby. Daheim versauern, nur weil er behindert ist? "Wirklich nicht", sagt er und grinst. "Dazu macht das Leben viel zu viel Spaß!"