"Geld hinterlässt Spuren, und diese sind lesbar"

Zum höchst unterhaltsamen Wintervortrag des Amerikanisten Sascha Pöhlmann über Thomas Pynchon

25.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:30 Uhr

Eichstätt (buk) „Hat schon jemand von Ihnen Thomas Pynchons Roman ,Bleeding Edge’ gelesen“ Kein einziger Zuhörer hob die Hand. „Nein? Hat jemand hier überhaupt schon etwas von Pynchon gelesen“ Ebenfalls Fehlanzeige. „Sehr gut!“, jubelte da der Referent, „dann weiß ich, dass ich bei Null anfangen kann!“ So munter ging das beim Wintervortrag des jungen Amerikanistik-Privatdozenten Sascha Pöhlmann aus München auch weiter.

Pöhlmanns Vortrag trug den englischsprachigen Titel „Shit, Money, and the Word, the three American Truths: Geld als Metarealität in Thomas Pynchons ,Bleeding Edge’“, und mit einer Prise Selbstironie meinte der Redner, er werde gleich erklären, was es „mit diesem etwas aufgeblasenen Titel“ auf sich habe: In den folgenden 45 kurzweiligen Minuten gelang ihm (während er wacker gegen eine veritable Erkältung ankämpfte) das Kunststück, frei sprechend ein über das Thema unwissendes Publikum ebenso unterhaltsam wie informativ über den 2013 erschienenen Roman des mysteriösen US-Autors aufzuklären. Pynchon zählt zu den wichtigsten Schriftstellern der Postmoderne; allerdings gibt es angeblich nur ein einziges öffentliches Foto von ihm, das ihn um 1953 als Highschool-Besucher zeigt.

Denn Pynchon gebe weder Interviews noch Lesungen, er verweigere sich völlig dem Literaturbetrieb und verzichte total auf Medienpräsenz. Nur in einer „Simpsons“-Folge habe er sich selbst gesprochen und sei als Comic-Figur mit Papiertüte über dem Kopf aufgetreten. Mithin umgebe ihn ein Mythos.

In seinem Werk beschäftigt sich dieser wohl bekannteste Unbekannte der US-Literatur oft mit den Themen Geld und Ökonomie und deren Bedeutung in den letzten drei Jahrhunderten: mit Sklavenhandel, Kriegen, dem „11. September“ oder Früh- und Spätkapitalismus. Sein jüngster Roman „Bleeding Edge“ widme sich der Frage, „ob Geld eine Realität hinter der Wirklichkeit bildet und eine symbolische Struktur beinhaltet, die nur Eingeweihten zugänglich ist“. Pöhlmann formulierte dies in Form einer Frage: „Kann man Geld lesen“

Die junge jüdische New Yorker Wirtschaftsdetektivin Maxine Tarnow, Protagonistin von Pynchons Roman, kann das offenbar, wie Pöhlmann anschaulich zeigte. Die Handlung des Romans, der Geld mit Gier, Macht und Machtmissbrauch assoziiere, ereigne sich in der Zeit um den 11. September 2001, und entscheidend sei, dass die Protagonistin sich nicht vom Geld korrumpieren lasse – und das in einem Umfeld, in der Geld Politik, Kultur und Religion durchdringe und auch die Technologie völlig von ihm bestimmt sei. Sie gehöre zu jenen Figuren des Buches, die in der Lage sind, „auf die Metarealität Geld zuzugreifen: Beim Blick in Bilanzen, etwa des Börsenmaklers und Anlagebetrügers Bernie Madoff, erkenne sie sofort den Betrug ebenso wie sie die Tatsache durchschaut habe, dass vor den Anschlägen von „09/11“ auffällig stark auf fallende Kurse der betroffenen Airlines gewettet wurde.

„Geld hinterlässt Spuren, und diese sind lesbar“, so das Fazit des Referenten, der in mehreren Exkursen auch erklärte, warum die Dollarnote „die meistgelesene Lektüre in den USA“ und ein Träger für Werbung und Propaganda sei. Dass es in den USA gesetzlich strafbar sei, Banknoten zu beschädigen, habe bereits zahlreiche Künstler zu provokanten Aktionen motiviert. Indem Geldscheine oft mit Sprüchen versehen würden, werde „Geld zum Medium der Kritik – und wendet sich gegen diejenigen, die es kontrollieren wollen“.

Pöhlmann bot an diesem fünften Abend einen höchst vergnüglichen wie aufschlussreichen Wintervortrag, wie man ihn sich öfter erhofft.