Frau
"Nicht auf Faktenebene"

Waltraud Schreiber von der KU über den Holocaust als Thema in der Schule

26.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:43 Uhr

Frau Schreiber, heute jährt sich zum 70. Mal die Befreiung des KZ Auschwitz. Der Holocaust ist ein Kapitel deutscher Geschichte. Welche Erfahrung haben Sie selbst im Unterricht damit gemacht?

Waltraud Schreiber: Das Zentrale für jeden Unterricht ist die Frage: „Warum erarbeite ich mit meinen Schülern – egal wie alt – dieses Thema“ Wenn man dieses ,warum’ klärt, habe ich sehr intensive Auseinandersetzungen im Geschichtsunterricht erfahren, egal, ob von Grundschülern oder Gymnasiasten. Was nicht geht, ist, sich nur auf einer Faktenebene mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Der Holocaust ist bei uns noch ein heißes Thema, das heißt ein Lehrer, der sich überlegt: Wo will ich mit dieser Klasse hin, welche Bedeutung hat die Beschäftigung mit den Abgründen des „Menschenmöglichen“ für mich, der kommt mit dem Thema auch klar.

 

Wie kann man dieses Thema kindgerecht vermitteln – und vor allem Eltern mitnehmen? Kommt da nicht Widerstand auf oder stößt man auf Verständnis?

Schreiber: Als ich junge Lehrerin war, habe ich einen Elternabend vorgeschaltet und erklärt, was ich plane und warum. Ich würde immer probieren, mit den Eltern vorher zu reden. Die meisten Eltern und Lehrer gehen d'accord, den Schülern Orientierung in der Welt, auch mit Hilfe von Geschichte zu ermöglichen.

 

Muss man jungen Lehrern die Angst nehmen, an dieses Thema heranzugehen?

Schreiber: Nein, ich glaube, nicht die Angst vor dem Thema. Es geht eher darum, Mut zu machen, nicht zu denken, den ,ganzen’ Nationalsozialismus, alle Aspekte des Holocausts thematisieren zu müssen, sondern, auszuwählen und Schwerpunkte zu setzen – ausgehend nicht zuletzt von den Schülern.

 

Die Zeitzeugen brechen langsam weg. Die sogenannte ,Oral History’ ist irgendwann vorbei.

Schreiber: Wir haben immer das Gefühl, dass das beim Nationalsozialismus anders ist als bei anderen geschichtlichen Themen. Sie hätten mich nie gefragt: Wie geht man damit um, dass wir keine Ritter aus dem Mittelalter mehr haben, mit denen wir sprechen können? Die Möglichkeiten, sich mit dem Holocaust und dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, sind viel breiter als für die älteren Epochen. Wir haben etwa aufgezeichnete Zeitzeugeninterviews, Doku- oder Spielfilme. Darin steckt aber auch ein Problem: Zeitzeugen, aber auch Filmemacher, erzählen aus ihrer Perspektive. Das heißt, in dem Moment, wo ich mich, vermittelt über Zeitzeugengespräche, Filme, dem Besuch einer Gedenkstätte, mit dem Thema auseinandersetze, habe ich eine Zwischenebene: Was erzählt mir der Zeitzeuge warum, was bietet der Regisseur an? Der Zeitzeuge ist garantiert nicht die Eins-zu-eins-Überlieferung. Immer, wenn Schüler mit diesen im Nachhinein verfassten Erzählungen arbeiten, müssen sie den Erzähler und seine Intentionen mitdenken.

Sind dann Filme wie Schindlers Liste überhaupt hilfreiche Medien?

Schreiber: Sie sind hilfreich, Interesse am Thema zu wecken. Dann muss aber der nächste Schritt kommen, die historische Einbindung. Nur mit Hilfe von Filmen eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu machen, geht in meinen Augen nicht. Der Film als Motivator, der das Thema in den Horizont der Schüler rückt, das ja.

 

Glauben Sie, ein guter, fundierter Geschichtsunterricht zu diesem Thema wirkt auch gegenwärtigen Strömungen des Ausgrenzens und der Gewalt entgegen?

Schreiber: Da sind wir wieder bei der ,Warum’-Frage. Wir Menschen ticken so, dass Herz und Verstand zusammengehen müssen. Wenn man das zuerst das Zusammenlaufen unterstützen kann, dann das Nachdenken über Wirkungen anregen kann, hilft das, zu immunisieren. Wenn man denkt, möglichst viele Fakten aneinanderreihen zu müssen, dann wird’s schwierig.

 

Das Gespräch führte

Marco Schneider.