Eichstätt
'Guerilla-Poet" am Weihnachtsmarkt

Die Lesung von Jens Rohrer in Eichstätt barg viele Überraschungsmomente

13.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:55 Uhr

Eine Lesung mit überraschenden Wendungen bot der Ingolstädter Autor Jens Rohrer am Sonntagabend. - Foto: Kusche

Eichstätt (EK) Wie nimmt man den Konsumrausch der Deutschen zur Weihnachtszeit aufs Korn? Wieso steht die Asche von Tante Huber zwischen zwei Kerzen auf der Garderobe? Und was ist eigentlich ein dadaistisches Gedicht? Antworten auf diese Fragen gab am Sonntagabend der Ingolstädter Autor, Satiriker und "Guerilla-Poet" Jens Rohrer in seiner knapp 90-minütigen Lesung im "Zwischenraum", die mehr war als nur der Vortrag von Kurzgeschichten und Gedichten.

"Jens Rohrer liest nicht, er ereignet sich", kündigte Maria Bartholomäus, Mitorganisatorin der Veranstaltungsreihe im "Zwischenraum", in ihrer Einführung an. In der Tat bot Rohrer an diesem Abend die ganze Bandbreite seines literarischen Könnens auf und brachte absurde Kurzgeschichten und satirische Gedichte ebenso zu Gehör wie ein dadaistisches Lautgedicht, ein erfundenes Interview und eine spontane "Guerilla"-Lesung am Rande des Eichstätter Weihnachtsmarktes. Diese unangemeldeten Lesungen im öffentlichen Raum brachten ihm übrigens den Beinamen "Che Guevara der Ingolstädter Literaturszene" ein.

Die meisten seiner Texte entnahm Rohrer seinem aktuellem Buch "Guerilla und Schmotter". Es sind absurde, aber zugleich sehr humorvoll-satirische Geschichten aus dem Alltag, die Rohrer zum Besten gab und dabei viele Lacher im Publikum provozierte. Und doch enthalten diese Geschichten und Anekdoten stets einen wahren Kern, der die Zuhörer nachdenklich stimmte. Sein Blick hinter die Fassaden der eigenen Person, Wohnung oder Verwandtschaft offenbart nicht selten Abgründiges. Da sucht er schon einmal als Hypochonder die zu ihm passende Krankheit und orientiert sich dabei an biblischen und literarischen Vorbildern.

Viele seiner Texte drehen sich um das Thema Weihnachtszeit, dessen Kernbotschaft Rohrer regelmäßig desillusionierte und dem Publikum so die Augen dafür öffnete, was wirklich geschah. So erzählte er die Weihnachtsgeschichte aus der Sicht des Ochsen in der Krippe neu: Der wollte nämlich hauptsächlich seine Ruhe und wurde zunächst vom schnarchenden Esel, anschließend von einer in den Wehen liegenden Schwangeren und ihrem kreischenden Kind, schließlich aber durch unaufhörlich preisende drei Könige derartig in Rage versetzt, dass er sie kurzerhand an Herodes verpfiff und sich das Paar samt Kind auf dem Esel davonmachen musste.

Und dann ist da auch noch Frau Huber, die selbst nach ihrem Tod nur Probleme macht, weil sie auf eigenen Wunsch eingeäschert wird. Das Paket mit ihrer Urne soll von DHL dem örtlichen Pfarrer zugestellt werden, doch dieser ist nicht zugegen, und so landet Frau Huber im Elternhaus des Erzählers auf der Garderobe, immerhin aber zwischen zwei brennenden Kerzen, bevor der Sohn sie schließlich mit ins Dorfwirtshaus nimmt. So gesehen, resümierte Rohrer trocken, sei Frau Huber letztlich doch mehr herumgekommen als in den vergangenen Jahren ihres Lebens.

Neben dem dadaistischen Gedicht, einer Aneinanderreihung lautmalerisch eindrucksvoller, jedoch sinnloser Silben, welche Rohrer im rosa Minirock und dem dazu passenden T-Shirt mit der Aufschrift "Schweinetransport" präsentierte, war die spontane "Guerilla"-Lesung auf dem Weihnachtsmarkt eindeutig der Höhepunkt. Der Autor nahm sein zunächst verblüfftes Publikum kurzerhand mit auf den nahen Domplatz und las dort, am Kriegerdenkmal stehend, laut aus Max Goldts "Vom Zauber des Seitlich-Daran-Vorbeigehens" vor. Diese satirische Antiweihnachtsgeschichte entlarvt den Konsumwahn und das dümmliche Verhalten der Weihnachtsmarktbesucher, die "vor Bretterbuden mit angetackerten Fichtenzweigen auf die dümmste mögliche Weise minderwertige Lebensmittel konsumieren."

Frech und sarkastisch klangen Rohrers Worte in unmittelbarer Nähe zum vorweihnachtlichen Treiben, von dem aus so manch neugieriger Besucher interessiert zur Traube Zuhörender gesellte. Denn das Gelesene barg ja durchaus einen Kern unangenehmer Wahrheit. Rohrers Lesung war tatsächlich ein Ereignis, ein skurriles Happening im besten Sinne der Aktionskunst der sechziger Jahre.