Eichstätt
Tragischer Untergang

Pessimistischer Wintervortrag über "Venedig und die Moderne"

21.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:57 Uhr

Eichstätt (buk) Es ist erschütternd: Venedig hat Kriege und Belagerungen überstanden, die Herrschaft der Franzosen ebenso wie die der Habsburger. Aber dem Ansturm der Touristen ist es nicht mehr gewachsen. Die Frage lautet nicht: „Was passiert, wenn Venedig stirbt“, sondern vielmehr: „Warum stirbt Venedig“ So wurde das Thema zumindest am fünften Abend der Eichstätter Wintervortragsreihe zugespitzt, als der Frühneuzeit-Historiker Arne Karsten aus Wuppertal (wiederum vor in großer Zahl erschienenem Publikum) über „Venedig und die Moderne“ sprach.

Arne Karsten, Junior-Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Bergischen Universität Wuppertal, spannte in seinem Vortrag einen weiten historischen Bogen über mehr als die letzten zwei Jahrhunderte der Stadt Venedig, in der sich der Beginn der Moderne sehr exakt datieren lasse – nämlich in den Beginn der französischen Herrschaft über die Stadt ab dem Jahr 1797. Venedig wurde in der Franzosenzeit in beschleunigtem Wandel zur „Stadt der Bettler“. Die Zahl der Glasbläsereien verringerte sich binnen weniger Jahre von 49 auf vier, die der Gondeln in dieser Zeit von neun- bis zehntausend auf nur noch 200 im Jahr 1825.

Die zeitgenössische Geschichtsschreibung verklärte die Veränderungen zu einem Segen und redete die untergegangene alte Adelsrepublik schlecht: Sie sei verderbt gewesen durch Dekadenz und Korruption, Spionage und Brutalität; das alte Regime wurde zur Diktatur erklärt.

Nach dem Ende Napoleons kam Venedig unter habsburgische Herrschaft; in den 1840er Jahren erlebte die Stadt mit dem Ausbau der Wasser- und Verkehrswege einen Aufschwung, doch im Zusammenhang von Unruhen in Norditalien im Jahr 1848 erhob man sich gegen Österreich – zunächst erfolglos; erst 1866 schloss sich Venedig an das junge Königreich Italien an.

Im 20. Jahrhundert machte sich der Platzmangel immer bedrohlicher bemerkbar; es fehlte an Raum für Industrieanlagen, Arbeiter wohnten in muffigen, dunkel-feuchten Erdgeschossbehausungen. Hatte das Wasser Venedig einst geschützt, so behinderte es nun den Fortschritt. Von den Forderungen der Futuristen („Beeilen wir uns, die alten stinkenden Kanäle zuzuschütten“) über den Erfolg der Biennale weitete der Referent den Blick hin auf das Problem des heutigen Massentourismus: „Das Venedig der Venezianer ist nicht mehr das Venedig der Besucher“: Lebten noch 1952 rund 175 000 Bewohner im Stadtkern, seien es heute weniger als 60 000 – ihnen stehen jährlich 20 Millionen Touristen gegenüber. Die Folge: „In Venedig kann man heute leichter eine Karnevalsmaske kaufen als ein frisches Brot!“

Die Zunahme der Hochwasserereignisse wie auch die Tatsache, dass heute riesige Kreuzfahrtschiffe mit erheblichen Bugwellen durch den Canale Grande gelotst würden, trage ebenfalls zum Untergang der Stadt bei, die nun zu einem „Freilichtmuseum“ mutiert sei: „Ein Untergang, den man nicht nur als traurig, sondern auch als tragisch betrachten muss“, so das bittere Fazit des Referenten.