Eichstätt
"So kann es weitergehen"

Am 2. Oktober besteht die Erstaufnahmeeinrichtung Maria-Ward ein Jahr: Eine Bilanz

01.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:44 Uhr

Foto: Marco Schneider

Eichstätt (EK) Am 2. Oktober 2014 kamen die ersten Flüchtlinge in der Eichstätter Erstaufnahme an. Wir ziehen Bilanz nach dem damals überraschenden Angebot von Bischof Gregor Maria Hanke, die ehemalige Maria-Ward-Schule als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung zu stellen.

An der Wand, gleich hinter dem schweren, barocken Eingangstor, grüßt lächelnd Bischof Gregor Maria Hanke vom Foto. Zwei Gänge weiter in einem Schaukasten hängt ein Bildnis von Mary Ward. Wären da nicht zwischendrin immer wieder Schilder auf Englisch, Französisch und Arabisch und das kleine „Securityzimmer“ direkt in der großen Eingangshalle – man könnte meinen, die Schülerinnen der Maria-Ward-Realschule wären erst gestern ausgezogen. Und doch ist es nun genau ein Jahr her, dass die ersten Asylsuchenden in dem ehemaligen Domherrnhof Dietrichstein (in seinen Grundzügen übrigens ein Bau von Gabriel de Gabrieli) eingezogen sind. Nach einem überraschenden und bis heute einmaligen Schritt im Bistum Eichstätt. Bischof Gregor Maria Hanke hatte angesichts der damals großen Not an Flüchtlingsunterkünften das Gebäude, aus dem erst wenige Wochen zuvor die Maria-Ward-Schüler Richtung Rebdorf abgesiedelt waren, zur Verfügung gestellt. Sein Vorschlag, das Maria-Ward-Gebäude zur Verfügung zu stellen, „hat mit dem Innersten unseres Glaubens zu tun“, es sei keine „sozialpolitische Kür“, sagte der Oberhirte. Hanke sei es darum gegangen, „echte tatkräftige Hilfe zu leisten“, sagt Ordinariatsrat Rainer Kastl im Rückblick. Das Thema Asyl konnte damals und kann heute, unterstreicht Kastl, nicht an der Kirche vorbeigehen. Mehrmals hatte die Bistumsleitung damals hervorgehoben, dass man das Gebäude der Regierung mietfrei überlassen werde: „Ich will hier kein Silber machen“, hatte Hanke gesagt. Und das ist nach wie vor so. Hanke ist überzeugt, damals richtig gehandelt zu haben: „Wo die Not anklopft, da muss geholfen werden. Das gilt vor allem auch für uns Christen“, gab er dieser Tage gegenüber unserer Zeitung zu Protokoll.

Die Asylsuchenden, die in der Erstaufnahme wohnen, gehören mittlerweile zum Stadtbild. Eichstätt würde bunter werden – das war jedem vor einem Jahr klar. Und das ist heute auch so. „War diese Unterkunft im Zentrum der Stadt anfänglich vielleicht noch etwas Besonderes, kann man sie zwischenzeitlich als festen und bewährten Bestandteil am Residenzplatz bezeichnen“, stellt Eichstätts Oberbürgermeister Andreas Steppberger fest. Durchschnittlich 20 Nationalitäten (aktuell ist die Einrichtung am Residenzplatz mit 220 Flüchtlingen nahezu voll belegt) leben in der Erstaufnahme, die meisten von ihnen bleiben etwa drei Monate, bevor sie in eine dezentrale Unterkunft weiterverlegt werden. An dieser unmittelbaren Nähe zur Innenstadt, nicht abseits, in einer Art Ghetto hinter Gitterzäunen, könnte es – so sagen es alle übereinstimmend – auch liegen, dass sich die Flüchtlingsunterkunft so gut einfügt. „Eine Einrichtung so offen zu halten und nicht abzuschotten trägt auch zu ihrem Schutz bei“, ist sich der Geschäftsführer von Jonas Better Place (JBP), Stefan Näther, sicher. Und: das enorme bürgerschaftliche Engagement, das sich in Eichstätt vom ersten Tag an gezeigt habe. JBP war im Dezember als Betreiber der Eichstätter Erstaufnahmedependance der Bayernkaserne eingestiegen. Zunächst unter großem Vorbehalt, auch weil die Mitarbeiter kurz vor dem Termin wie eine Art Rollkommando in Maria-Ward eingefallen waren, um das Haus zu inspizieren. Das alles ist längst vergessen: Heute gibt es von allen Seiten nur Lob über die Firma, die in ganz Oberbayern mit rund 170 Mitarbeitern in der Betreuung von Flüchtlingen und deren Unterkünften tätig ist. Stefan Näther und Einrichtungsleiter Tobias Geyer geben das umgekehrt zurück: „Wir haben einen sehr engen Kontakt zu Polizei, Feuerwehr und Rettung.“ Das helfe im Alltag ungemein.

Dass zwischen der Firmenphilosophie und den Überzeugungen der Wohlfahrtsverbände offenbar keine Welten liegen, findet etwa Matthias Schmitt von der Caritas-Sozialberatung: „Wir teilen die gleiche Überzeugung.“ Wie man sich den Bewohnern gegenüber verhalte, „so verhalten sie sich einem gegenüber“. Und die Asylsuchenden würden das merken, zeigt sich Schmitt überzeugt. Das mache auch das Miteinander aus, so Schmitt. Auch wenn es bei einem wöchentlichen Bewohnerwechsel von bis zu 100 Flüchtlingen nicht immer einfach ist, sich aufeinander einzulassen. Schmitt führt aber noch ein Beispiel an: Vor einigen Wochen hatte ein Flüchtling seinen Geldbeutel verloren. Er war zurückgegeben worden – inklusive Inhalt.

Die gleichen positiven Erfahrungen macht auch die Ordensoberin der Congregatio Jesu, Claudia Köberlein. Die Schwesterngemeinschaft der Englischen Fräulein ist unmittelbarer Nachbar der Asylbewerberunterkunft. „Die anfängliche Sorge meiner Mitschwestern ist komplett gewichen“, sagt Köberlein. Sie selbst sei mehrmals in der Woche mit den Flüchtlingen beisammen. „Auch wenn es mit der Sprache nicht so funktioniert, von Herz zu Herz geht’s dann doch“, sagt die Ordensfrau. Das tun auch die Malteser: Werktags – und künftig wohl auch samstags – sind sie mit Ehrenamtlichen in Maria-Ward, um am Nachmittag zwei Stunden lang die Kinder zu betreuen.

Das ist es wohl auch, was die Aufnahmeeinrichtung in Eichstätt so einmalig macht: eine Willkommenskultur, wie sie anderswo nicht zu finden ist. Das hängt dann nicht nur mit nach Ethnien und Religiosität aufgeteilten Zimmern zusammen oder einem eigens aufgelegten Tagesstrukturierungsprogramm (wir berichteten), sondern mit vielen kleinen Rädchen, die anscheinend perfekt ineinandergreifen. „So kann es weitergehen“, sagt Tobias Geyer. Mindestens bis zum Frühjahr 2017. Solange hat die Diözese das Gebäude der Regierung zur Verfügung gestellt. Über den Tag hinaus will man aber beim Bistum noch nicht blicken. Gedankenspiele in der Schublade über die Zeit nach Maria-Ward hinaus scheint es zu geben. Äußert will man sich dazu (noch) nicht.