Eichstätt
Rosen und Vergissmeinnicht

Beim Blättern in alten Poesiealben offenbaren sich kostbare Erinnerungen und Zeitdokumente

20.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:55 Uhr

Zeitdokument im Poesiealbum: Nationalsozialistisches Jungmädel und Pimpf, gezeichnet von einem Schulkind 1940 - Fotos: je

Eichstätt (EK) Poesiealben sind ein Leben lang geschätzte Erinnerungen an einst unzertrennliche Freundinnen und Kameraden der Kindheit, garniert mit viel „Rosen und Vergissmeinnicht“. Und sie sind Zeitdokumente, wie ein nett gezeichnetes NS-Jungmädel und ein Pimpf aus dem Jahr 1940 zeigen.

Das Schreiben und Zeichnen in Poesiealben ist (fast) reine Mädchensache. Die Büchlein werden als geheime Schätze gehütet und nicht selten sind sie mit einem kleinen Schloss versehen. Wie mehrere Besitzerinnen von Poesiealben erzählten, ist es meist so, dass sie nach der Schulzeit mit Zeugnissen, Impfpässen und dem Kommunionbild verräumt werden.

ANNO DAZUMAL

Aber im Großmutteralter werden die Alben an den langen Winterabenden gern hervorgekramt. Die Verserl der einstigen Banknachbarinnen und Freundinnen beschwören nun doch mit einiger Wehmut Erinnerungen herauf. Wenn auch in älteren Büchern die Einträge in der alten deutschen Schrift erfolgten, macht das Entziffern kaum Probleme.

Die Suche nach passenden Reimen ist gar nicht so leicht. Es sollen ja weniger bekannte Aphorismen sein, wobei freilich die Klassiker der Mädchenbücher gewiss nirgends fehlen. Dazu gehört halt: „Rosen, Tulpen, Nelken – alle Blumen welken. Nur die eine welket nicht – und die heißt Vergissmeinnicht“. Die meisten Sprüchlein wurden von Schülerinnengeneration zu Schülerinnengeneration weitervererbt. In den untersuchten Poesiealben, angefangen von 1890 bis zum Jahr 2000, sind sie immer wieder zu finden. Dabei sind auch mahnende Worte dabei und die Aufforderung, auf Gott zu vertrauen. Ein großes Thema war und ist auch die erste zarte Liebe.

In das Poesiealbum von Anna Dirnberger schrieb am 3. August 1892 ihre Mitschülerin Maria Wernhamer: „Lass die Winde stürmen auf der Lebensbahn – ob sich auch Wogen türmen gegen deinen Kahn. – Schaffe ruhig weiter, wenn der Mast auch bricht, - Gott ist Dein Begleiter, er verlässt Dich nicht.“

1903 schrieb in schöner deutscher Schrift die Schülerin Anna Schlund: „O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen, – Der ersten liebe goldne Zeit. – Das Auge sieht den Himmel offen, - Es schwelgt das Herz in Seligkeit. – O, dass sie ewig grünen bliebe, - Die schöne Zeit der jungen Liebe“.

Von „Deiner treuen Freundin Kathi Huber“, geschrieben am 14. August 1905, stammt: „Fest wie die Alpen in Tirol – Sei Dein Glück und Dein Wohl; - Und so friedlich wie im Thal, - Sei Dein Leben überall“.

Ein Eintrag und eine hübsche Zeichnung fallen im Poesiealbum von Maria Wieser, von den Freundinnen „Marile“ genannt, auf. Der Vers wurde von einer Schulkameradin in nationalsozialistischer Zeit, am 13. Februar 1940, geschrieben: „Es rauscht durch deutsche Wälder, – Es raunt aus Rohr und Ried, – Es klingt durch Städte und Felder – Ein zukunftmächtig Lied. – Es klopft an jeder Pforte in Schloss und Haus – Mit zauberstarkem Worte – Deutsche Jugend heraus.“

Im Album von Maria Wieser steht auch: „Ich kenne eine Rose – die lacht mir freundlich zu – und diese schöne Rose, Marile, die bist Du“. Geschrieben wurde der Vers „zur freundlichen Erinnerung von Deiner Cousine Mathilde Engelhard“, Erding, den 14. April 1939. In dem Bändchen findet sich auch von der Mitschülerin Thea Schauer, Rebdorf, 5. Februar 1940: „Wenn einst die Zeiten schwinden – Und Du mich je vergisst – So kannst Du hier noch finden – Von wem dies Sprüchlein ist.“

Die Reime und Widmungen klingen teilweise antiquiert. Viele der alten Sentenzen, die auch auf Kalenderblättern stehen und in Spruchsammlungen Eingang fanden, haben ihren Ursprung in weit zurückliegender Zeit – und auch heute noch Gültigkeit. In der Frühe gelesen, helfen sie Sorgen in anderem Licht erscheinen zu lassen und sicher auch den Tag humorvoll anzupacken.

Meist sind es sind es Eltern, Lehrer oder erwachsene Geschwister, die von Kindern gebeten, auch ins Poesiealbum schreiben und ernstere Zeilen hinterlassen. Dazu zählt der Spruch, der im sogenannten Eichstätter Pestfriedhof bei der Michael-Kapelle auf der Grabtafel von Margaretha Köblin steht: „Wir leben so dahin, und nehmen nicht in Acht, dass jeder Augenblick das Leben kürzer macht.“