Eichstätt
Mit schwebenden Drachen dem Feind entgegen

Conrad Kyeser, der Verfasser des Kriegshandbuchs "Bellifortis", wurde heute von 650 Jahren in Eichstätt geboren

25.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr

Wenn auch die Orthografie nicht stimmt, erinnert eine Straße auf dem Eichstätter Seidlkreuz an den Wissenschaftler, Soldaten und Historiker Conrad Kyeser. - Foto: Poese

Eichstätt (EK) Seine blühende Fantasie, seine technische Begabung und erstaunliches Zeichentalent beschäftigen Wissenschaftler, Soldaten und Historiker seit über sechshundert Jahren. Die Rede ist von dem am 26. August 1366 in Eichstätt geborenen Conrad Kyeser und seinem Kriegshandbuch "Bellifortis": Das hat er zwischen 1402 und 1405 fertiggestellt, wahrscheinlich unter Assistenz von Malern der Prager Wenzelschule. Übersetzungen und Interpretationen seines in Latein verfassten Werkes sind herausgekommen, haben Zustimmung aber auch Widerspruch gefunden.

In der Universitätsbibliothek Eichstätt findet sich ein farbiger Faksimiledruck, in dem das Blättern und Betrachten der Zeichnungen zum Staunen Anlass gibt und erheblichen Spaß macht. Beiträge über "Bellifortis" verfasste auch Helmut Mahr für die Zeitschrift "Globolus". Was Kyeser mit Einfallsreichtum zu Papier brachte, kann freilich nicht alles ernst genommen werden. Das Buch widmete er dem "allersiegreichsten und obersten Kriegsherrn, Herrn Ruprecht, durch Gottes Gnade alleiniger Herrscher des Heiligen Römischen Reichs." Eine prachtvolle Ausgabe wird seit 1773 in der Göttinger Staatsbibliothek aufbewahrt. Im September 2000 erwarb die Bayerische Staatsbibliothek ein Werk des Eichstätters und zahlte dafür 1,5 Millionen Mark. Das Originalformat ist 24 mal 32 Zentimeter groß. Bekannt ist die Existenz mehrerer Kyeser-Handschriften, die aber in Text und Zeichnungen vom Original abweichen. Der Diplom-Ingenieur Götz Quarg aus Braunschweig hat die Handschrift in dreijähriger Arbeit übersetzt und interpretiert; Buch und Erläuterungsband kamen 1967 heraus; eine Rezension dazu schrieb Hans Baier von der Universitätsbibliothek Eichstätt.

In dem Wälzer befindet sich am Schluss auch ein Selbstporträt Conrad Kyesers samt einer Unterschrift, aus der etwas über den Erfinder zu erfahren ist. Unter sein Porträt schrieb Kyeser: "Nach Hingang von tausend Jahren und sechsundsechzig, am Merkurtage nach dem Fest des Heiligen Bartholomäus, des geschundenen, bin ich Conrad Kyeser aus Eichstätt, der Welt geboren worden, ... erzeugt und gemacht vom Vater Rüdiger und der frommen Mutter Elisabeth." Somit ist der 26. August sein Geburtstag. Seine Eltern wohnten in der Pfahlstraße, der Bub besuchte die Schule und lernte Latein. Er berichtet von sich, dass er einen unehelichen Sohn namens Rüdiger hat. "Im Mannesalter" wurde er wegen Totschlags aus der Stadt gewiesen. Der Name Kyeser ist ein Berufsname: Kieser waren im Mittelalter die städtischen Prüfer im Lebensmittelgewerbe; die Bezeichnung "Bierkieser" ist heute noch landläufig bekannt. Aus den Texten in seiner "Bellifortis" lässt sich schließen, dass er eine sorgfältige Bildung genossen hatte und fundiertes Wissen in Philosophie, Theologie und Medizin besaß. Durch Bayern-Herzog Stephan III. erlernte er das Kriegshandwerk und kämpfte 1390 bei der Rückeroberung von Padua mit, wahrscheinlich als Feldarzt.

Conrad Kyeser zog 1394 mit König Sigismund in den Türkenkrieg, ist jedoch vermutlich desertiert. Später fand man ihn in dem Ort Zebrák (deutsch: Bettlern) in den Böhmischen Bergen quasi in Verbannung. Hier schreibt Kyeser sein Buch "Bellifortis" und versieht es mit zahlreichen Bildern und Skizzen. Der Titel bedeutet: der Kampfstarke, der Tüchtige, für den Krieg Gerüstete. In dem Werk finden sich die unglaublichsten Waffen und Kriegsgeräte für den Angriff und die Verteidigung mit den entsprechenden Texten, aber auch Foltergeräte.

Da reitet ein Soldat daher und führt an einer Leine über sich schwebend einen Drachen, der dem Feind wohl Angst und Schrecken einjagen soll. Zur Härtung des Eisens hat der Erfinder folgendes Rezept parat: "Nimm Ochsengalle, rühre sie mit Brennnesselsaft an, mit Urin, Salz und Essig, von allem gleich viel. Davon nimm die gehörige Menge nach Gutdünken und schrecke darin das Eisen ab. Waffen aller Art wirst du aus Bohnen (da ist wohl Bohnerz gemeint) machen können."

An anderer Stelle singt Conrad Kyeser ein Loblied auf die Wachsamkeit der Gänse, "die gegen Räuber einen scharfen Spürsinn haben, wodurch sie schon so manche königliche Burg gerettet haben". Damit geht er auf antike Mythen ein, wie etwa die Erzählung des Geschichtsschreibers Livius, wonach lautes Geschnatter von Gänsen die Römer am Kapitol im 4. Jahrhundert vor Christus vor einem Angriff der Kelten warnte. Im "Bellifortis" finden sich Zeichnungen mehrstöckiger fahrbarer Türme aus Holz. Sie dienen der Belagerung. Die dem Feind zugewandte Seite ist dreieckig, damit Geschosse seitlich abgelenkt werden. Von der Plattform des Turms können die Angreifer über die Befestigungsmauer hinweg in die Stadt spähen und mithilfe von Fallbrücken Soldaten auf den Wällen absetzen. Im unteren Bereich der Angriffsmaschine ist ein Mauerbrecher angebracht.

Über einen anderen Angriffswagen heißt es: "Der Molosserhund greift Lager auf vier Rädern an. Wenn er auf gleicher Höhe ist, wird die Klappe mit einem Seil losgelassen, bis der Eisenhaken erfasst, was vor ihm liegt, Zinnen und Mauern, und dann mögen sie hinaufsteigen wie Füchse aus dem Bau, mögen kämpfen, raufen und sich schlagen, bis sie ergreifen, was sie begehren." In "Bellifortis" ist ein in der Höhe verstellbarer Belagerungsturm dargestellt. Der Hubkasten wird durch eine Spindel hochgedreht. "Das ebenhohe Schutzgerät (...) trägt Bewaffnete, so viele es aufnehmen kann. Es wird mit Rinderhäuten, Metallplatten und Lehmpackungen umgeben, damit es nicht durch Feuer beschädigt und von Pfeilen durchschossen wird." Die Konstruktionen sind mit Spießen, Stacheleisen und Sicheln bewehrt. Ein großer nachgebildeter Menschenkopf wird auf zwei Rädern mit einer Deichsel auf den Feind zugeschoben. Aus Stirn, Nase und Mund wachsen gewaltige Stacheln, die dem Gegner Angst machen. Der militärische Wert ist gering.

Beim Altmühlzentrum auf Burg Dollnstein ist ein Streitwagen und ein Belagerungsturm à la Kyeser zu bewundern, während in Eichstätt nahezu jeder Hinweis auf den berühmten Sohn der Stadt, der sogar als "bayerischer Leonardo da Vinci" bezeichnet wird, fehlt. Nur ein Straßenzug auf dem Eichstätter Seidlkreuz, dessen Orthografie allerdings nicht ganz richtig ist, erinnert an den Sohn der Stadt.

Auch der Überfahrt von Flüssen und Seen mithilfe eines Amphibienfahrzeugs nahm sich Kyeser an. Seine Entwürfe von Raketen oder etwa eines Taucheranzugs sind freilich utopisch. Er zeichnet einen florentinischen Keuschheitsgürtel und Schneeschuhe und einen windradgetriebenen Aufzug. Fahrbare Schutzschilder mit Schießlöchern und Sehschlitzen gehören dazu, ebenso Armbrüste und Wurfmaschinen, "Blide" genannt. Der Tüftler gibt eine eigenartige Mischung an, um ein Licht zu erzeugen: "Alles, was du damit bestreichst und anzündest wird brennen ohne Schaden zu leiden, wie zum Beispiel an ein Tuch oder Haare in unmittelbare Nähe gehalten, wird strahlen wie eine Kerze." Um dieses Licht zu bekommen wird benötigt: Hundegalle, morsches Weidenholz, das hintere Teil von Leuchtkäferln, Galle eines Kätzchens, alter Wein, Schwefel, ungelöschter Kalk und Olivenöl.

Conrad Keyers Sterbedatum ist nicht bekannt - es ist von einem Tod nach 1405 auszugehen. In der von ihm selbst verfassten Grabinschrift hat er das Todesdatum natürlich offen gelassen, niemand hat es nachgetragen. Er ist unbekannt bestattet worden. Aus der Grabschrift nach Übersetzer Götz Quarg: "Seitdem Adam aus Ton gebildet und die Welt erstmals erschaffen, füge sechstausend und sechshundert Jahre hinzu, ... ist der leutselige, freigebige, verbannte, milde und gütige Conrad Kyeser gestorben, einst aus Eichstätt, beredt, standhaft, durch höhere Tugend viele überragend, zu fürstlichen Höfen gehörend." Es folgt eine Aufzählung seiner Aufenthaltsorte und der Fürsten, bei denen er logierte, und die Aufforderung "alle Eichstätter mögen ihn beweinen, ihr Fürsten deckt ihn mit Tränen zu, ihr Armen erfleht ihm die ewige Ruh`!" Nach eigenen Angaben reicht die Berühmtheit Kyesers bis nach Spanien, Frankreich, Burgund, Litauen und Mähren. Er ist wohl nicht alt geworden.

Das Urteil von Götz Quarg nach dem Studium der Handschrift über Conrad Kyeser: "Im Ganzen ergibt sich das naturwahre Bild eines hoffnungsfroh begonnenen, aber früh zerbrochenen Lebens in einer grauenvoll zerklüfteten Zeit."