Eichstätt
Mit dem Kopf Richtung Mekka

Muslime und ihre Bestattungsriten – Auf dem Ingolstädter Südfriedhof gibt es islamische Gräber

30.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:03 Uhr

Muslime, die sich nicht in ihren Herkunftsländern bestatten lassen, können beispielsweise am Ingolstädter Südfriedhof beigesetzt werden. Dort sind zwei Grabfelder für islamische Bestattungen reserviert. - Foto: Eberl

Eichstätt (EK) „Wir gewährten keinem Menschenwesen vor dir immerwährendes Leben. Jedes Lebewesen soll den Tod kosten“, steht im Koran, Sure 21. Was passiert aber nach dem Tod eines Muslims eigentlich genau? Die Eichstätter Türken lassen sich fast alle in die Heimat überführen.

Bis es zu einer Bestattung eines türkischen Muslims in seiner Heimat kommt, geschieht eine Menge. Auch wenn möglichst wenig Zeit zwischen dem Tod und der Bestattung nach islamischer Tradition vergehen darf: Es gibt eine Menge zu regeln. „90 Prozent unserer Landsleute wollen in der Türkei bestattet werden“, sagt Hakan Etli. Der 43-Jährige ist Mitglied der islamisch-türkischen Gemeinde in Eichstätt und führt seit vielen Jahren die Gäste durch das Gebetshaus an der Weißenburger Straße. Eigentlich sagt die Tradition zwar etwas anderes, nämlich, „sich dort bestatten zu lassen, wo man lebt“. Aber: „Man möchte halt doch irgendwie in der Nähe seiner Verwandten sein.“ Das gelte zumindest für die Türken.

„Stirbt jemand, löst das eine große Nachbarschaftshilfe aus“, sagt Etli. Warum? Es kommen viele Menschen ins Sterbehaus, drücken ihr Beileid aus, wollen sich vom Verstorbenen verabschieden. „Damit die Familie sich nicht auch noch mit der Versorgung der Gäste auseinandersetzen muss, bringen Bekannte Essen dorthin“, erklärt Etli, der seit seinem achten Lebensjahr in Deutschland wohnt. Schriftkundige rezitieren am Totenbett Suren aus dem Koran. „Man spricht über den Toten, tauscht sich aus über sein Leben.“ Trauerarbeit also.

Der Leichnam wird in den Kühlräumen der Eichstätter Klinik aufbewahrt, bis das zuständige Bestattungsinstitut ihn abholt, erklärt Etli. Die Toten werden allerdings nicht einfach in einen mit Kissen ausgeschlagenen Sarg gebettet. Es gibt rituelle Waschungen. „Die können wir in der Klinik machen“, erklärt Etli. Im Ingolstädter Südfriedhof gibt es außerdem einen eigens dafür ausgestatteten Raum. „Das machen die Verwandten oder auch der Vorbeter.“ Nach Geschlechtern getrennt. Will heißen: Männer waschen die Männer, Frauen die Frauen. „Unsere Toten sollen sauber und ohne Makel vor Allah treten“, sagt Etli. Die Waschungen sind „gemeinsame Verpflichtung“, heißt es auf einigen islamischen Internetseiten.

Wenn die Waschung abgeschlossen ist, wird der Tote in ein Leinentuch geschlagen – „Kefen“ heißt es. Es ist ohne Nähte, möglichst einfach. Das klingt ein wenig nach dem deutschen Sprichwort „Das letzte Hemd hat keine Taschen“? Hakan Etli lächelt: „Ja, das ist eigentlich so. Man kann aus diesem Leben nichts mitnehmen.“ Dann wird der Tote in den Sarg gelegt und – bei den Mitgliedern der türkischen Gemeinde in Eichstätt – in den Hof vor das Gebetshaus überführt. Dort steht ein Katafalk bereit, auf dem der Sarg platziert wird, Angehörige und die anderen Muslime stehen am Kopfende des Sarges und beten gemeinsam. Cenaze Namaz nennen die Muslime das Gebet, mit ihrer Anwesenheit bringen sie dem Toten ihren Respekt entgegen. „Deshalb stehen wir bei diesem Gebet auch“, sagt Etli. Verbeugungen und das Niederwerfen, wie es sonst beim Freitagsgebet üblich ist, fallen weg. Nach der Zeremonie wird der Sarg in den Leichenwagen gehoben und – wenn der Verstorbene in die Heimat überführt wird – nach München gebracht.

„Die Familie begleitet ihn bis in das Dorf, wo er ins Grab gelegt wird.“ Mit dem Kopf in Richtung Mekka. In der Türkei ohne Sarg, wie es der Islam überliefert. Das ist übrigens mittlerweile auch in Deutschland möglich. In einigen Ländern, zuletzt in Hessen, ist mittlerweile die Sargpflicht aufgehoben. In Bayern gibt es keine Überlegungen dazu: „Die Verwendung von Särgen entspricht der herkömmlichen Sitte und christlichen Tradition. Aus den genannten Gründen besteht in dieser Hinsicht kein dringender Änderungsbedarf“, teilt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf Anfrage unserer Zeitung mit.

Dennoch gibt es in unserer Region auch zwei Friedhöfe, die eigene muslimische Grabfelder haben: am Südfriedhof in Ingolstadt und in Roth. In Ingolstadt sind über 70 bereits belegt, wie das Ingolstädter Standesamt auf Anfrage mitteilt. „Den islamischen Bestattungsriten kann in Bayern auch nach den Regelungen im derzeit gültigen Bestattungsgesetz und in der Bestattungsverordnung in weiten Teilen entsprochen werden“, erklärt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. So stellt – laut einer Bestätigung der Akademie für islamisches Recht in Mekka von 1986 – auch eine Bestattung im Sarg kein „rituelles Hindernis“ dar.

Wenn übrigens ein Muslim stirbt, der keinen direkten Kontakt zur Moschee in Eichstätt hatte, helfen die Muslime trotzdem: Erst vor einigen Jahren haben sie einer Familie aus dem westlichen Landkreis geholfen, die Bestattung zu organisieren. Ein wenig an die örtliche Tradition angeglichen, wie Etli sagt: „Weil man hier nach der Beerdigung zusammen isst, haben unsere Frauen ein Totenmahl zusammengestellt.“