Eichstätt
"Wir werden mehr teilen müssen"

Podiumsdiskussion im International House der KU: Spielt Finanzsystem eine Rolle bei Fluchtursachen?

23.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:10 Uhr
Diskutierten beim fünften Finanzethikkongress an der KU: (von links) Michael P. Sommer, Theophil Graband, Erzbischof Stanislav Hocevar, Kirchenpräsident Dr. Christoph Weber-Berg, Professorin Rosamund M. Thomas und Moderator Uwe Ritzer. −Foto: Schulte Strathaus/upd

Eichstätt (upd) Was bedeuten Flucht und Migration für das internationale Finanzsystem und welche Rolle kann es beim Umgang mit dieser Thematik spielen? Um diese Fragen ging es bei der Podiumsdiskussion des fünften Finanzethikkongresses an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Neben dem Fach Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der KU sind die Theologische Fakultät Fulda, die Hochschule München, das Steinbeis-Transfer-Institut für Persönlichkeitsforschung und Ethik sowie die Reformierte Landeskirche Aarau (Schweiz) Mitveranstalter der Tagung.

Moderator Uwe Ritzer von der Süddeutschen Zeitung nahm eingangs der Diskussion Bezug auf ein Interview mit dem Leiter des Welternährungsprogramms, in dem dieser auf den Zusammenhang von Hunger, Terror und Flucht einging. "Es genügt nicht, den Menschen nur Nahrung zu geben. Es braucht eine umfassende und grundlegende Reflektion von globaler Gerechtigkeit", stellte hierzu der Belgrader Erzbischof Stanislav Hocevar fest. Ergänzend betonte Michael P. Sommer (Direktor Auslandskunden, Bank im Bistum Essen eG), dass das Handeln der westlichen Welt unmittelbare Auswirkungen in anderen Ländern habe. Es gelte zu fragen, was wir tun müssen, damit Menschen nicht ihre Heimat verlassen.

Für ein globales Verständnis von Gerechtigkeit plädierte hier der schweizerische Kirchenpräsident Dr. Christoph Weber-Berg der reformierten Landeskirche Aargau: "Diejenigen, denen es gut geht, werden weiterhin ein gutes Leben haben, wenn es den Benachteiligten besser geht. Wir werden uns darauf einstellen müssen, mehr zu teilen." Der Umgang mit Flüchtlingen sage etwas dazu aus, was wir vom Menschen denken. Wir seien derzeit zu sehr damit beschäftigt, abwehrend zu wirken, statt mehr für die Integration tun.

Zur Rolle des Finanzsystems hinsichtlich der Ursachen von Flucht mahnten die Podiumsteilnehmer ein ethisches Verhalten als roten Faden für Entscheidungen an. So gab Theophil Graband, Vorstandsvorsitzender von VR Leasing, zu bedenken, dass es Finanzprodukte gebe, die "so schädlich sind, dass man sie verbieten sollte, wie etwa Spekulationen auf Nahrungsmittel". Banken stünden gleichzeitig vor einem Dilemma: Auf der einen Seite erwarteten Kunden Habenzinsen, während die EZB den Finanzinstituten derzeit Negativzinsen in Rechnung stelle. "Auch der Kunde ist in der Pflicht, vor einem Investment Produkte und Anbieter genau unter die Lupe zu nehmen. Das Thema Nachhaltigkeit war früher beschränkt auf die PR-Abteilungen. Mittlerweile bildet es aber die Geschäftsbasis ganzer Banken", ergänzte Michael P. Sommer. Er schilderte zudem, dass die Vergabe von Mikrokrediten in benachteiligte Länder - etwa zur Etablierung eines eigenen kleinen Geschäftes - meist wertvoller sei, als die Verteilung von Spendengeldern, da Menschen damit eine Verantwortung übergeben werde. "Unsere Erfahrung zeigt, dass die Ausfallquote bei Mikrokrediten deutlich geringer ist als bei regulären Krediten, die wir hierzulande vergeben."

Aus der Schweiz berichtete Kirchenpräsident Weber-Berg, dass die dortige zweite Generation von Migranten deutlich stärker unternehmerisch tätig sei als die übrige Bevölkerung. Banken könnten hier als Risikoberater fungieren und so zur Integration beitragen. Professorin Rosamund M. Thomas vom Center for Business and Public Sector Ethics in Cambridge erläuterte beispielhaft, dass sich - ergänzend zu internationalen Einrichtungen wie der Weltbank - mittlerweile afrikanische Staaten zusammenschließen, um sich gegenseitig bei Ernteausfällen finanziell zu unterstützen, die ansonsten, auch bedingt durch Klimawandel, zu Migration führten. Thomas sieht jedoch viele Aspekte von Migration ungeklärt: "Kennen wir alle Ursachen? Und wie lässt sich Wirtschaftsmigration von Fluchtmigration unterscheiden?"