Eichstätt
Geheimnisvolle Zeitreise

Im Jurahausmuseum führte Eva Martiny Kinder durch die Vergangenheit

30.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Beeindruckt ließen sich die Kinder von Eva Martiny erklären, wie die Steinplatten auf Jurahäusern zu einem Dach aufeinandergeschichtet wurden. Fünf bis sieben Stück liegen manchmal übereinander. Dadurch entsteht ein enormes Gewicht, was die Kinder beim Hebetest einer Platte erproben durften. - Foto: Hoh

Eichstätt (EK) Eine kleine Schar Kinder drängt sich um Eva Martiny zu Füßen der Stiege hinauf auf den Dachboden des Jurahausmuseums. Neugierig spähen die Kinder nacheinander nach oben und versuchen zu erkennen, wie das Dach konstruiert ist. Mit großen Augen bewundern sie das Gebälk.

Eva Martiny, Vorsitzende des Jurahausvereins in Eichstätt, führt ihre kleinen Gäste durch das Jurahausmuseum und nimmt sie dabei mit auf eine kleine Zeitreise. Zu einer Märchenstunde hat sie geladen und wird den Kindern „Frau Holle“ vorlesen. Doch bevor es losgeht, dürfen die Kinder ein anderes Märchen erleben: Denn in den Ecken und Winkeln des Hauses schlummern die Geschichten und Geheimnisse der vergangenen Zeiten, wie in dem alten Buch, aus dem später Grimms Märchen gelesen wird.

Wie viel Gewicht durch die Steinplatten, die das Innere vor Wind und Frau Holles Launen schützen, auf den Balken ruhten, können sich die Kinder bestens vorstellen: Sie alle durften nämlich bereits eine solche Steinplatte heben und kamen dabei ganz schön ins Schnaufen und Schwitzen.

Auch die Nägel, die im Verlauf hunderter Jahre die Konstruktion zusammengehalten haben, dürfen die Kinder in die Hand nehmen. Alle Nägel sind Einzelstücke, erklärt Martiny, denn anders als heute gab es damals keine Fabriken und Maschinen, die die Nägel tausendfach und genormt hätten herstellen können. Stattdessen mussten die Bewohner des Hauses selbst Hand anlegen. Außerdem, stellen die Kinder fest, sind den Nägeln die viele Zeit und das Gewicht, das sie so lange hielten, deutlich anzusehen und noch etwas fällt auf: Sie sind alle krumm. „Wie kann man denn krumme Nägel ins Holz schlagen“, wundern sich die Kinder. Martiny klärt auf: Die Nägel wurden nicht krumm ins Holz geschlagen. Die Form entstand erst durch das Herausziehen. Nachdem dieses Rätsel geklärt ist, führt Martiny die Kinder weiter.

In dem langen Flur des oberen Stockwerks liegen zwei Meterstäbe hintereinander aus. Martiny kniet sich an das obere Ende und zeigt den Kindern ihr Alter in Zentimetern an. „So alt seid ihr“, erklärt sie und zeigt schließlich den langen Flur hinab. „Und so alt ist dieses Haus.“ Erstaunt wenden sich die Köpfe den Meterstäben folgend, und als die Kinder die Dimensionen begreifen, weiten sich ihre Augen.

In der früheren Stube des Jurahauses geht die Zeitreise weiter. Dort dürfen die Kinder nun die Fundstücke inspizieren, die bei der Sanierung des Hauses zutage getreten sind: Rosenkränze, Kreuze und die Überreste von Kacheln und Geschirr vermitteln den Kindern einen Eindruck vom Leben, das vor hunderten von Jahren in den Mauern, in welchen sie sich heute bewegen, stattgefunden hat.

Und eine weitere Entdeckung machen sie in der Stube: Die Wände leuchten in den verschiedensten Farben. Martiny erklärt ihnen, dass im Lauf der Zeit viele Schichten Farbe aufgetragen wurden – ganz nach dem Gusto derer, die in den 350 Jahren im Haus gelebt haben. „Wie viele das wohl waren“, fragt Martiny ihre Zuhörer. Die Antworten variieren von „zehn“ bis „tausend“. Die richtige Antwort liegt dazwischen: Etwa 100 Leute dürften im Lauf der Zeit wohl in diesen Mauern gelebt haben, erklärt Martiny.

Sie ist begeistert von dem Interesse der Kinder, die ihr gebannt an den Lippen hängen. Erwachsene, erzählt sie, berichteten ihr, dass sie die Jurahäuser in der Region oft gar nicht wahrgenommen hätten, ehe sie diese im Jurahausmuseum als wichtigsten Bestandteil der regionalen Baukultur entdeckt haben.

Dem will Martiny mit ihrem Märchenabend entgegenwirken: Sie will den Blick der Kinder schärfen – für die historischen Gebäude und deren Geschichten. „Kinder können noch staunen“, erzählt sie und dadurch lassen sie sich leicht begeistern für Balken, Wände und Nägel, die aus anderen Zeiten erzählen. Was die Kinder hier spielerisch lernen, bleibt hängen, resümiert sie: als wachsamer Blick auf historische Gebäude und als Bewusstsein für die Baukultur und die Geschichte der eigenen Region.

Als Belohnung für das Interesse und die Aufmerksamkeit der Kinder führt Martiny sie nun in ein kleines Stübchen und zündet Kerzen an, in deren flackerndem Licht die Winkel des alten Hauses noch geheimnisvoller erscheinen, und sie beginnt, eine weitere Geschichte zu erzählen: die von Frau Holle.

Der Märchenabend war die letzte Veranstaltung des Jurahausvereins in diesem Jahr, doch die Pläne für das kommende stehen bereits und können unter www.jurahaus-verein.de eingesehen werden.