Eichstätt
Fundamentaler Umbruch

Bischof Felix Genn nutzt das Seminarjubiläum in Eichstätt zu einer Bestandsaufnahme der Priesterbildung

19.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

 

Eichstätt (DK) Deutliche Selbstkritik hat Bischof Felix Genn beim 450-jährigen Bestehen des Eichstätter Priesterseminars geübt. Er legte eine Situationsanalyse der katholischen Priesterausbildung in Deutschland vor.

Er forderte mit der Bildung von überdiözesanen Seminaren Konsequenzen. „Die Kirche ist eine andere als zu der Zeit, als das Seminar hier in Eichstätt gegründet wurde“, stellte der Bischof von Münster, Felix Genn, bei der Jubelfeier am Wochenende fest. Der Münsteraner Oberhirte war eingeladen worden, den Festvortrag zu halten. Er sparte nicht mit Selbstkritik, aber hatte auch Denkanstöße dabei für die Kirche in seinem Land. Nicht nur, dass er – wie bereits berichtet – die Zusammenlegung von Seminaren fordert. Nein, er weist auch darauf hin, dass Seminaristen vielleicht überfordert sein könnten mit dem, was sie nach der Priesterweihe erwartet. Und er reißt die Frage an, wie die Zusammenarbeit der Theologischen Fakultäten und der Priesterausbildungsstätten in Zukunft gestaltet werden könnte.

Der katholischen Kirche in Deutschland geht der Priesternachwuchs aus. Wer das in den Reihen der Verantwortungsträger noch nicht registriert hat, lebt in einer surrealen Welt. Waren es 2003 laut statischem Jahrbuch der Bischofskonferenz fast 1000 Männer, die sich weihen lassen wollten, so waren es 2013 gerade einmal noch 662. „Wir befinden uns in einem fundamentalen Umbruch“, sagte Bischof Genn bei einer Festakademie, an der neben Kurienkardinal Paul Josef Cordes auch der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, teilnahm.

1564 war das Eichstätter Priesterseminar infolge des Konzils von Trient gegründet worden: Die Priesterausbildungsstätte an der Altmühl ist die älteste nördlich der Alpen – und verfolgt, wie alle Priesterkollegien weltweit, noch immer ein Ziel: „Die Heranbildung eines Priesters zum Guten Hirten nach dem Beispiel Jesu Christi.“

Bei seinen Überlegungen sparte Genn das Tabuthema des geistlichen Standes schlechthin nicht aus, wenngleich seine Frage provokant zu verstehen sein dürfte: „Ist die zölibatäre Lebensform noch zu leben, wenn sie kaum noch verstanden wird“Außerdem, und das hob Genn, der vor seiner Ernennung zum Bischof das größte deutsche Priesterseminar, das Spätberufenenhaus in Lantershofen, leitete, mehrmals hervor, seien Seminare „Ernstfall Gemeinde“.

Mit der heutigen Bewohnerzahl mancher Ausbildungsstätten könnte sich dieses Gemeindeleben nicht mehr entfalten. In seinen Überlegungen könnten sich beispielsweise Hausgemeinschaften bilden mit Menschen, die ihr Berufsziel nicht auf den priesterlichen Dienst hin ausrichteten.

Und diese müssten nicht in den Städten, in denen auch ein Bischof residiert, angesiedelt sein. Das lässt sich zwischen den Zeilen herauslesen: „Um der Vernetzung der unterschiedlichen Dimensionen der Priesterausbildung gerecht zu werden, sollten ausdrücklich solche Pfarreien in den Diözesen, in denen die zentralen Seminare angesiedelt werden, ausgewählt werden, welche Prozesse der Ortskirche auf die Zukunft entwickeln“, sagte Genn.

Aus diesem dann wirklich gelebten „Ernstfall Gemeinde“ heraus könnten sich nach Ansicht Genns, der seit 2009 Bischof von Münster ist, „gruppendynamische Prozesse entwickeln, die eine gegenseitige Erziehung gewährleisten“. Man dürfe nicht vergessen, „geistliche Formung zu verbinden mit der menschlichen Reifung“.

Das sei umso wichtiger in einer Zeit, in der die Berufungen nicht mehr geradlinig verlaufen, in denen die Kandidaten oftmals aus zerrissenen Familien kämen. „Ich denke dabei auch daran, dass eine Reihe unserer Kandidaten nicht eine durchgängige religiöse Sozialisation mitbringen.“ Genn verwies auf die Überforderungen, die auf so manch zukünftigen Priester im Seminar einstürmen dürften. Da verändert sich das Priesterbild: „Wird der Priester zum Manager, zum Organisator, zum Verwalter“ Bei alledem müssten auch die Theologischen Fakultäten eine Rolle spielen – und zwar eine andere als die, die ihnen bislang zugedacht ist. Die Fakultäten gebe es, weil es Priesterausbildung durch sie geben müsse. Aber: „Ist es nicht an der Zeit, diese Verbindung zu entkoppeln“ Genn forderte, eine „andere Weise der theologischen Formung“ zu entwickeln, die den einzelnen Berufsgruppen gerechter werde. Diese Sichtweise dürfte die Laienberufe verstärkt in den Blick nehmen. Bei all dem, was Genn in Eichstätt angesprochen hat, handele es sich um „einen Denkanstoß für die weiteren Überlegungen der Entwicklung der Priesterausbildung in unserem Land“. Es seien „Vorschläge für die Zukunft“.

Er sei überzeugt, dass ein Seminar, das für mehrere Bistümer die Priesterausbildung stemmt, „eine Anziehungskraft bekäme“. Und es würde das aufgreifen, was das Eichstätter Priesterseminar über Jahrhunderte hinweg getan hat und immer noch tut: Studenten ihre Ausbildung erfahren lassen, die aus anderen Bistümern und Kulturen kommen.