Eichstätt
Fasziniert von der "Logik der Forschung"

20. Todestag des Eichstätter Ehrendoktors Karl Popper – Erinnerungen an eine besondere Freundschaft

16.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:14 Uhr

Ein großer Tag in der Aula der Katholischen Universität in Eichstätt: Sir Karl Popper nimmt am 27. Mai 1991 die Ehrendoktorwürde entgegen, rechts im Bild Professor Hubert Kiesewetter. - Foto: EK-Archiv

Eichstätt (EK) Der heutige 20. Todestag von Sir Karl Popper berührt den emeritierten Eichstätter Professor Hubert Kiesewetter besonders. Er hatte den weltberühmten Philosophen 1991 zu dessen Ehrenpromotion nach Eichstätt geholt und war mit ihm wissenschaftlich und freundschaftlich eng verbunden.

Die Nachricht vom Tode des 92-jährigen Sir Karl Popper ging am 17. September 1994 von London aus um die Welt. Hubert Kiesewetter weilte damals gerade in Paris und arbeitete sich durch diverse Bände in der dortigen Nationalbibliothek. Seine Frau Renate, die mitgereist war, hörte im Radio davon und informierte ihren Mann. Kiesewetter war vermutlich der letzte Freund und Kollege, mit dem Popper kurz zuvor noch intensiv telefoniert hatte – wegen der Übersetzung eines Popper-Werkes aus dem Englischen ins Deutsche, an der der Eichstätter Professor gerade gearbeitet hatte. „Popper hat großen Wert auf eine klare Sprache gelegt, da wurde an jeder Formulierung gefeilt.“

Hubert und Renate Kiesewetter erinnern sich beide noch gut und gerne an diese Zeit, und natürlich daran, wie der weltberühmte Logiker und Philosoph drei Jahre vor seinem Tod zur Verleihung der Ehrendoktorwürde von London persönlich nach Eichstätt gekommen war. „Hauptsächlich ist es das Verdienst meiner Frau“, sagt der damalige Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Katholischen Universität in Eichstätt. Denn Popper habe einen „süßen Gaumen“ gehabt und den Kiesewetterschen Kuchen sehr gemocht. „Damit haben wir ihn gelockt“, scherzt Kiesewetter.

Der Präsident der Eichstätter Universität Nikolaus Lobkowitz, seinerseits ein großer Popper-Verehrer, sei bei der Einladung sehr skeptisch gewesen und habe gesagt, wenn der berühmte Wissenschaftler aus England persönlich käme, wäre das „der schönste Tag in meinem Leben, aber der kommt nicht“. Als Kiesewetter das seinerseits Popper erzählte, habe der gemeint: „Das ist Quatsch!“ – und zwar auf Deutsch mit genau diesen Worten.

Also machte sich der gebürtige Wiener Sir Karl Popper auf den Weg ins Altmühltal und nahm am 27. Mai 1991 die Ehrendoktorwürde der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät entgegen. Es war ein Großereignis an der Katholischen Universität in Eichstätt, das damals allerdings seitens der Theologen auf Widerstand gestoßen war. Denn weil viele „Popperianer“ bekennende Atheisten waren, galt Popper in manchen Kreisen ebenfalls als Atheist – eine Behauptung, über die sich Kiesewetter heute noch ärgern kann. Das war auch der Antrieb dafür, zum zehnjährigen Jubiläum der Ehrendoktorwürde 2001 eine Tagung zu veranstalten und ein Buch („Karl Popper – Leben und Werk“) herauszubringen, das deutlich machen sollte: „Er war kein Atheist.“

Popper selbst hat es zu Lebzeiten seinen Verteidigern nicht leicht gemacht: „Er mochte darüber nicht reden“, erinnert sich Kiesewetter. Popper, der 1902 in eine großbürgerlich-jüdische und protestantisch getaufte Familie in Wien hineingeboren wurde, habe gewusst, was er der jüdischen Tradition verdanke, sei aber ein entschiedener Gegner des Zionismus gewesen. Poppers Leben und Werk umspannte nahezu das gesamt 20. Jahrhundert – persönliche Äußerungen des Philosophen sind jedoch rar.

Das offenste Gespräch über seine Jugend und seinen Lebensweg mag der Philosoph vielleicht Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre mit Renate Kiesewetter bei einem Besuch in Poppers Sommerhaus in Garmisch-Partenkirchen geführt haben. Doch das bleibt privat. Dafür erzählt Renate Kiesewetter gerne von der unkomplizierten menschlichen Art des berühmten Wissenschaftlers, von gemeinsamen Stunden am Küchenherd und Spaziergängen in Gummistiefeln. Bei einem ihrer Besuche in Oxford hatte Popper den Kiesewetters das Du angeboten – eine seltene Ehre, die ihren Besuch damals auch verlängert hat.

„Sein Gedächtnis war phänomenal“, schwärmen die Kiesewetters und nennen einige Beispiele. So hatte Popper in geselliger Runde bei ihnen zu Hause in Buxheim, wo die Kiesewetters 1991 wohnten, reihenweise die korrekten Namen von Gipfeln eines schweizerischen Bergmassivs aufgezählt – von einer Reise, die er 1928 unternommen hatte. „Wir haben das mit einer Landkarte nachgeprüft, und es hat wirklich alles gestimmt“, wundert sich Kiesewetter noch heute.

Dem emeritierten Eichstätter Professor selbst ist natürlich noch in bester Erinnerung, wie diese außergewöhnliche Freundschaft begonnen hat. Der gelernte Maschinenschlosser und Lokführer Kiesewetter hatte nach dem Abitur am Abendgymnasium Anfang der 1960er Jahre in Kiel Ökonomie studiert. „Das war mir aber zu trocken.“ Dann war ihm Poppers erkenntnistheoretisches Hauptwerk „Logik der Forschung“ in die Hände gefallen. „Das fand ich faszinierend, da hab ich gewusst: Da will ich hin.“

Also hat der Ökonomiestudent den berühmten Professor gebeten, an Vorlesungen teilnehmen zu dürfen, und tatsächlich ein Stipendium bekommen. „Als ich 1967 mit einem geschenkten Moped in zehn Tagen von Kiel nach London fuhr, um bei Sir Karl Popper zu studieren, wusste ich schon, was der englische Nobelpreisträger Sir Peter Medawar sagte: Dass Popper der größte Wissenschaftstheoretiker ist, der je gelebt hat. Ich ahnte aber nicht, dass ich einem Menschen und Wissenschaftler begegnen würde, der einem ziemlich naiven deutschen Studenten mit geduldiger Freundschaft, Weisheit und Verständnis begegnete.“

Popper wollte Kiesewetter sogar als Assistenten haben – was dieser ablehnte. „Ich dachte ja damals noch, dass ich in die Industrie gehen würde“. Da habe ihn Popper aufgefordert: „Dann promovieren Sie doch wenigstens!“, und damit die Weichen für Kiesewetters eigene wissenschaftliche Karriere gestellt. Auch aus Dankbarkeit dafür hat Kiesewetter später eine ganze Reihe von Poppers gesammelten Werken auf Deutsch herausgegeben.

Wie sieht er Poppers Vermächtnis 20 Jahre nach dessen Tod? „Poppers Wissenschaft ist auf die Lösung von Problemen gerichtet.“ Seine Arbeiten seien die Grundlagen dafür, „wie man Wissenschaft betreibt, um neue Erkenntnisse zu gewinnen“. Poppers Werk sei noch lange nicht ausgeschöpft.