Eichstätt
Die große Selbsttäuschung

Erfrischende Aufführung von "Biedermann und die Brandstifter" durch die Wanderbühne der KU

23.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:53 Uhr

Foto: Jürgen Leykamm

Eichstätt (EK) Die Geschichte von "Biedermann und die Brandstifter" wurde von der "Wanderbühne" im Theatron der KU auf erfrischende Weise zweimal aufgeführt. Ein drittes Mal gibt es die Theater spielenden Studenten an diesem Samstagabend um 20.30 Uhr zu erleben. Der Besuch lohnt sich.

Das dachten sich wohl auch die fast 300 Gäste der Premiere - ein neuer Zuschauerrekord. Der Klassiker von Max Frisch kam dabei in einer Zwei-Stunden-Version ohne Pause daher. Minutenlang darf zu Beginn der Haarwasser-Produzent Gottlieb Biedermann (gespielt von Leon Gaube) regungslos auf seinem Stuhl ausharren, bis alles seinen Platz gefunden hat. Den finden auch die Wächter des Chores (Madeleine Engelhard, Mamsy Kuwornu, Audrey Lusson und Jennifer Sandmeyer) um ihren Chorführer (Philipp Thomas), die ihre Mahnungen immer wieder auf den Zuschauerrängen mitten unters Volk verteilen.

Als der obdachlose Josef Schmitz (Julia Striegl) das Haus betritt, will Biedermann ihn eigentlich gleich hinauswerfen. Doch der angeblich Hilfe Suchende weiß ihn geschickt zu manipulieren, so dass ihm Einlass und Abendbrot gewährt werden. Dem Dienstmädchen (Maria Gabler) diktiert er sogleich seine Sonderwünsche und ruft spöttisch "nur keine Umstände" hinterher. Parallel dazu kommt zugleich Biedermanns eigene Manipulationskraft zum Ausdruck. Dass sich sein Haarwasser überhaupt verkauft, sei "eine kaufmännische Leistung", eigentlich könnten sich die Kunden ebenso gut den eigenen Harn auf den Kopf reiben. Deswegen will der Unternehmer auch den Miterfinder des Produkts, einen gewissen "Herrn Knechtling", nicht am Erfolg beteiligen und entlässt ihn sogar, als er solches einfordert. Worauf dieser sich prompt das Leben nimmt.

Derweil bekommt Biedermann fleißig Honig ums Maul geschmiert. Er sei jemand mit Zivilcourage, "der unsereins nicht für einen Brandstifter hält", sagt Schmitz. Würde der Unternehmer das tun, dann wäre er ja nicht gut, sondern ein humorloser Spießer. Das will der Unternehmer auf keinen Fall sein. Und auch seine Frau Babette (Bernadette Graf) tut alles, um nicht in diesem Lichte zu erscheinen, und so lässt sie auch noch einen weiteren Kumpanen des Gastes ins Haus: Wilhelm Eisenring (Theresa Güthoff). Die Wächter und zugleich Feuerwehrkameraden sind entrüstet. Passend dazu beginnt es zu stürmen im Theatron.

Als Biedermann im guten Glauben an einen Scherz dann die beiden Herren noch Fässer mit Benzin auf den Dachboden karren lässt, greifen die Rothelme ein, fesseln ihn mit einem Feuerwehrschlauch und stellen ihn zur Rede. Er kontert mit Sätzen, die wohlvertraut klingen. Man dürfe nicht immer gleich an was Böses denken, sondern solle auch mal Vertrauen schenken. Doch zugleich wird ihm gewahr, dass es jetzt vielleicht auch schon zu spät sein könnte. Eine Anzeige bei der Polizei würde ihm die Beiden zu Feinden machen. Also heißt die Parole, sie zu Freunden zu machen - und sie zum Gansessen einzuladen. In dessen Vorfeld kommt die Selbsttäuschung Biedermanns trefflich zum Vorschein, von der "Wanderbühne" toll in Szene gesetzt. Er glaube nicht an Klassenunterschiede, sagt der Unternehmer wohlwollend zu seinen beiden Gästen. Es ärgere ihn nur, dass man in den unteren Klassen dauernd davon schwatze. Es seien doch alle Geschöpfe des gleichen Schöpfers, schwadroniert Biedermann, während Knechtlings Witwe (Monica Hajek) sich die Seele aus dem Leib weint und vom Unternehmer zu hören bekommt, dass er jetzt keine Zeit habe sich mit Toten zu befassen.

Stattdessen raucht der "Gute" Zigarre am Benzinfass und hält freundlich die Zündschnur. Ein Wachtmeister (Mamsy Kuwornu) sieht zwar immer wieder nach dem Rechten, wird aber hinters Licht geführt. Es bleibt auch hier der Spott: "Na wenn das kein Polizeistaat ist . . ." Biedermann indes steigert sich in seine "Gutmenschenrolle" geradezu hinein, "biedert" sich den beiden "Armen" an, indem er sie beim Gansessen nicht mit zu viel Silber und Luxus vor den Kopf stoßen will. Bereichert werden diese absurden Szenen von kleinen Filmsequenzen, die an die Wände geworfen werden. Biedermann sucht nun verzweifelt Hilfe beim Publikum und fragt es direkt. "Seit wann genau wissen Sie, dass dies Brandstifter sind? Was hätten Sie an meiner Stelle getan und wann" Dann ertönt die Sirene und die Paradoxie erlebt ihren Höhepunkt. Es müsse jetzt Schluss sein mit den Witzen, befindet Biedermann, als seine zwei Gäste unentwegt nur noch vom Feuermachen reden. "Wir scherzen ja auch nicht", kommt es ganz locker zurück. Fast im gleichen Atemzug erklingt die Gegenfrage, ob sie denn doch von ihm für Brandstifter gehalten würden? Diese Blöße kann sich der Unternehmer nicht mehr geben und so willigt er ein, als die beiden als Vertrauensbeweis Streichhölzer fordern. Nun taucht auch noch ein dritter Übeltäter auf. Ein Dr. Phil (Jennifer Sandmeyer), als Akademiker will er sich offiziell mit einer Erklärung von dem Tun der Kollegen distanzieren, doch die Worte gehen im Prasseln der Flammen unter. "Was jeder voraussieht, geschieht auch am End", beklagt der Chor, bevor der Schlussapplaus losbricht.