Eichstätt
"Langfristig kaum zu schultern"

Die Einrichtung zur Abschiebehaft in Eichstätt bringt Polizei und Justizpersonal an Grenzen

17.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Die "Abschiebegruppe" bei der Eichstätter Polizei muss sämtliche Fahrten genau durchplanen: (von links) Bernhard Rudingsdorfer, Verwaltungsangestellte Tanja Krümpel, Dietmar Brückl und Josef Nar. - Fotos: Schneider

Eichstätt (EK) Es ist in gewisser Weise eine 100-Tage-Bilanz - verbunden mit einem deutlichen Statement der Polizei und auch der Justiz: Die Einrichtung für Abschiebehaft, die am 12. Juni in Eichstätt ihren Betrieb aufgenommen hat, bringt das dort beschäftigte Personal an die Grenzen.

Rund 300 Flüchtlinge sind einer hausinternen Statistik zufolge seit Juni in Eichstätt eingesessen und haben auf ihre Abschiebung gewartet, betreut durch das Justizpersonal und vor allem durch zwei Psychologen sowie vier Sozialarbeiter. "Wir sind froh, dass wir diese Fachdienste vor Ort haben", sagt Anstaltsleiter Friedhelm Kirchhoff in einem Bilanzgespräch mit unserer Zeitung. Kirchhoff weiß um die schwierige Situation, in der sich die Insassen seiner Einrichtung befinden, "sie haben keine Perspektive", muss aber umgekehrt auch seine Bediensteten und Angestellten im Blick haben. Und die ehemalige JVA an der Weißenburger Straße, die der Freistaat für rund acht Millionen Euro saniert und umgebaut hat, "war schneller voll, als wir das erwartet haben". Das haben auch die Nachbarn am Burgberg gemerkt, die viel mit nächtlichem Lärm zu kämpfen haben (wir berichteten). Hier soll es Anfang November nun einen Runden Tisch geben.

Braucht es eine Entlastung, sprich eine zweite Einrichtung? Der Anstaltsleiter bejaht das, "allein schon aus Sicherheitsgründen". Man könne die Insassen derzeit nicht einmal voneinander trennen, um beispielsweise deeskalierend zu wirken. Aus dem Justizministerium verlautet, dass man "bei Bedarf 24 Haftplätze für die Abschiebungshaft in der Justizvollzugsanstalt Erding relativ kurzfristig" aktivieren könne. Hier seien keine "größeren Bau- beziehungsweise Umbaumaßnahmen erforderlich", diese Möglichkeit sei aber als "Vorsorgemaßnahme" zu sehen. Bislang habe man das nicht gebraucht, erklärt ein Sprecher, zumal "die Zahl der untergebrachten Abschiebungsgefangenen insgesamt nicht unerheblich schwankt".

Das Ministerium führt Vergleichszahlen aus den Jahren 2015 (zwischen 8 und 42 Insassen), 2016 (zwischen 17 und 52) und 2017 (zwischen 50 und 75) an. Mittelfristig wolle man, so der Ministeriumssprecher, "in Passau eine bundesweit einzigartige kombinierte Einrichtung zum Vollzug von Straf- und Abschiebungshaft" bauen. "Damit sollen konsequente Abschiebungen grenznah gesichert und gleichzeitig eine effektive Ahndung von Schleuserkriminalität dort, wo sie geschieht, ermöglicht werden." Bis zu 200 der geplanten 450 Haftplätze sollen dort als Abschiebungshaftplätze genutzt werden können, erklärt der Sprecher.

Das ist für die Eichstätter aktuell kein großer Trost: Man sei an den Kapazitätsgrenzen angelangt, sagt Kirchhoff, der sich - trotz seines Eintritts in den Ruhestand Ende des Monats - intensiv um die ehemalige JVA an der Weißenburger Straße kümmert und auch selbst viel präsent ist.

"Es ist eine sehr brisante Mischung." Da könne es schnell auch ausufern, wie ein großer Polizeieinsatz vor einigen Wochen gezeigt hat (wir berichteten). Der Betrieb sei "eine große Beanspruchung unserer Mitarbeiter", und wenn dann die Ressourcen eng sind und Überstunden geschoben werden müssen, werde es noch schwieriger.

Deutlicher wird der Chef der Eichstätter Polizeiinspektion, Heinz Rindlbacher. "Wir bedauern es sehr, dass wir, außer vom Präsidium in Ingolstadt, in dieser Situation sehr alleingelassen werden." Natürlich habe man sich auf die Sache vorbereitet, einen intensiven Austausch mit den Kollegen in Mühldorf betrieben und zehn Beamte zusätzlich aus dem Verband des Präsidiums Oberbayern-Nord zugewiesen bekommen, eine eigene "Abschiebegruppe" eingerichtet. Der Aufwand aber sei immens - vor allem zeitlich. Rindlbacher und der Chef der für Abschiebungen zuständigen Gruppe Dietmar Brückl rechnen vor: Wenn eine Abschiebung von den Flughäfen Frankfurt, Leipzig oder Stuttgart aus angeordnet ist, sind zwei Beamte zwischen 10 und 13 Stunden gebunden. Rund 20-mal sind Beamte aus Eichstätt mittlerweile nach Frankfurt gefahren, 60-mal nach München.

"Ich komme mir vor wie ein Disponent", sagt Dietmar Brückl. Er sei nur damit beschäftigt, diese Fahrten zu planen. Dazu kommen noch kurzfristige Transporte zum Arzt - bislang waren über 100 solcher Termine wahrzunehmen -, zu Gerichten oder Konsulaten. "Wenn ein Insasse in die Psychiatrie des Klinikums eingewiesen wird, muss er rund um die Uhr bewacht werden", erklärt Rindlbacher. Das bedeutet vornehmlich für die Kollegen in Ingolstadt, die hier dann unterstützen, eine zusätzliche Aufgabe. Rindlbachers Statistik zufolge seien dabei bereits über 900 zusätzliche Einsatzstunden angefallen. Beamte, die an anderer Stelle fehlen. "Das ist langfristig kaum zu schultern", sagt Rindlbacher, von Eichstätt aus schon gar nicht. Der tägliche Dienst sei zwar nicht beeinträchtig, aber auch die Polizei braucht mehr Personal.

"Die Zusammenarbeit mit der Bundespolizei in der Form, wie wir sie uns gewünscht haben, ist bislang nicht erfolgt." Das liegt vor allem auch daran, dass die Beamten nicht vor Ort sind, sondern von Ingolstadt aus agieren. Deren Pressestelle verweist darauf, dass es hier zu keinen "qualitativen Einbußen in der Tätigkeit kommt". Wann die vier bereits benannten Beamten allerdings direkt vor Ort ihre Büros beziehen können, ist offen. Ähnliche Klagen kommen vom Ingolstädter Amtsgericht: Dort sind die Strafrichter für die Haftbefehle und alle damit zusammenhängenden Entscheidungen zuständig. "Das ist eine enorme zusätzliche Arbeit", sagt Vize-Gerichtsdirektor Christian Veh.

Der Wunsch überall: mehr Personal, dringend.