Eichstätt
Schlaflos am Burgberg

Beschwerden über nächtliches Geschrei aus der Abschiebehaftanstalt – Runder Tisch angekündigt

04.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:33 Uhr
Nächtliches Geschrei aus der Abschiebehaft bringt die Anwohner teilweise um ihren Schlaf. −Foto: Schneider

Eichstätt (EK) Der Betrieb der Abschiebehaftanstalt in Eichstätt wirft Probleme mit den Nachbarn auf: Die beschweren sich über nächtlichen Lärm und stundenlanges Schreien zu Zeiten, in denen Schlaf angesagt wäre. Die Polizei nimmt die Vorfälle auf. Die Anstalt selbst will nun tätig werden.

Die Handyaufnahme, die Anna Elisabeth Meier abspielen lässt, ist nicht ohne: Ein mehrere Sekunden anhaltender Schrei, kurze Stille, wieder. So geht das offenbar fast jede Nacht, vornehmlich zwischen 21 und 3 Uhr, sagt die junge Mutter, die mit ihrer Familie unmittelbar hinter der Abschiebehaftanstalt wohnt. „Das ist ein Lärmpegel, als würde ein Lkw vorbeifahren“, sagt sie, es sei keine Sprache zu verstehen, „das klingt eher wie Wolfsgeheul“.

Ein Lied davon singen können auch Edith und Alfons Neumeier. Das Ehepaar wohnt in Sichtweite zur Abschiebehaftanstalt – und mittlerweile auch in Hörweite, wie sie gegenüber unserer Zeitung zu Protokoll geben. „Die plärren einfach“, bestätigt Alfons Neumeier die Aussage Meiers. Keine Sprache, keine Worte, oftmals mitten in der Nacht: „Da schreckt man richtig hoch“, berichtet seine Frau Edith. Früher, als noch eine reguläre Justizvollzugsanstalt betrieben worden sei, sei es ruhig gewesen.

Die Neumeiers haben sich mittlerweile schriftlich an den CSU-Abgeordneten Reinhard Brandl und die weiteren Wahlkreiskandidaten für den Deutschen Bundestag gewandt. Die Rufe seien Tag und Nacht auch durch doppelt verglaste, geschlossene Fenster zu hören, teilen sie den Politikern mit. „Was wir seit Wochen erleben, ist gelinde gesagt ,Terror’“, heißt es in dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt. Meier schildert es als „besorgniserregend“, ihr kleiner Sohn tut sich manchmal schwer mit dem Schlaf in der Nacht.

Weil die Anstalt im Grunde ein Gefängnis geblieben ist, musste keine Nutzungsänderung her und es hat deswegen auch keine neuen Gutachten, beispielsweise zu den Emissionen, gebraucht, wie Oberbürgermeister Andreas Steppberger unserer Zeitung auf Anfrage bestätigte. Meier ist sich sicher: „Das kann man nur mit baulichen Veränderungen lösen, wenn es über Sanktionen nicht möglich ist.“ Aktuell rufe man halt bei der Polizei an – genauso, wie viele andere Nachbarn am Burgberg auch.

Polizeiinspektionsleiter Heinz Rindlbacher bestätigt entsprechende Anrufe, die „in Regelmäßigkeit“ kommen, ebenso wie der für Eichstätt zuständige Abteilungsleiter aus Kaisheim, Linus Sklenarz. „Selbstverständlich nehmen wir die Beschwerden aus der Bevölkerung sehr ernst“, sagt er auf Anfrage gegenüber unserer Zeitung.

Rindlbacher erklärt, dass er die Anwohner verstehe und die Problemlage auch nachvollziehen könne. „Immer wieder können wir die Schreie auch schon am Telefon hören.“ Viele dieser Schreie sind wohl Solidarisierungen, wenn Neuzugänge gebracht werden oder eine Abschiebung vollzogen wird.

Die Anstaltsleitung hat sich offenbar bereits mit dem Problem befasst, auch der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) ist bei einer persönlichen Visite Anfang August auf die Situation hingewiesen worden. „Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig“, so Sklenarz. Neben der anderen Zusammensetzung der Inhaftierten in der Einrichtung für Abschiebungshaft kämen weitere Ursachen in Betracht. Die Inhaftierten seien nicht zur Arbeit verpflichtet, hätten keinen vorgegebenen Tagesablauf. „Ein auch aus der Strafhaft bekanntes Phänomen ist hingegen, dass inhaftierte Männer versuchen, durch Schreien und Pfeifen Kontakt mit weiblichen Inhaftierten aufzunehmen und umgekehrt Frauen mit den Männern.“ Letztlich seien nächtliche Ruhestörungen Ordnungswidrigkeiten, erläutert Rindlbacher. Dazu brauche er einen Beschuldigten. Es sei in der Anstalt meist nicht nachvollziehbar, wer beteiligt sei. Im Fall der Fälle nehme die Inspektion Kontakt mit den Bediensteten in der Abschiebehaftanstalt auf, die dann wiederum auf den Gängen entsprechende Hinweise ausgeben würden. „Die Verantwortung liegt beim Personal dort.“ Deren Arbeit verdiene höchste Anerkennung, hebt Landtagsabgeordnete Tanja Schorer-Dremel (CSU) hervor, gibt aber auch zu bedenken, dass es nun wichtig sei, noch mehr Personal in die Einrichtung zu bekommen. Das hat sie auch schon in München entsprechend kundgetan.

Aus Mühldorf am Inn, wo bis Juni Bayerns zentrales Abschiebegefängnis war, seien solche Zustände nicht bekannt gewesen: Dort lag die Einrichtung außerhalb eines Wohngebiets. „Wenn etwas los ist, bitten wir, uns das wirklich mitzuteilen“, sagt Rindlbacher. Er und seine Leute gingen jedem Einzelfall nach. Man versuche, dort Ruhe herzustellen, aber „diese Einrichtung ist nun mal da“.

In der Anstalt will man durch „geeignete Betreuungs- und gegebenenfalls Disziplinarmaßnahmen auf insofern auffällige Abschiebungsgefangene“ einwirken, sagt Sklenarz. Man will allerdings auch die Anwohner zusammenholen: Es soll mit allen Betroffenen einen „Runden Tisch“ geben, kündigt der Regierungsrat an. Zudem wolle man prüfen, „ob durch Sichtblenden vor bestimmten Fenstern“ der direkte Blickkontakt zwischen Männern und Frauen verhindert werden könnte. Sklenarz erklärt weiter, dass man sich weiter bemühen wolle, Ab- und Zugänge räumlich noch besser zu trennen, um hier auch mögliche Unmutsbekundungen einzuschränken. Landtagsabgeordnete Tanja Schorer-Dremel begrüßt das Gespräch mit den Bürgern: „Es ist wichtig, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen.“