Eichstätt
Pflegekräfte am Anschlag

Unterschriftenaktion für mehr Personal in Kliniken Rund 40 000 Überstunden

23.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:16 Uhr

Mit einem Informationsstand am Marktplatz machten am Samstag die Gewerkschaft ver.di und Mitarbeiter der Klinik Eichstätt auf die Situation in der Pflege aufmerksam. Viele Beschäftigte schöben etliche Überstunden vor sich her, hieß es, die physische und psychische Belastung sei enorm. - Fotos: Knopp

Eichstätt (EK) Da haben die Gewerkschafter und Mitarbeiter der Klinik bei den Eichstättern offene Türen eingerannt: Innerhalb von zwei Stunden sammelten sie am Marktplatz rund 240 Unterschriften für mehr Personal in Krankenhäusern. Der aktuelle Zustand sei nicht mehr tragbar, hieß es.

"Darüber könnte ich mich furchtbar aufregen", meinte eine Passantin und tat es dann auch, nachdem sie auf der Liste unterzeichnet hatte. Sie kenne die Situation von ihrer Mutter im Altenheim her: Dort seien zwei Pflegekräfte für 35 Bewohner zuständig. Sie würden ihre Arbeit zwar engagiert erledigen, "aber das ist doch kein Umgang mit Menschen" - und zwar auf beiden Seiten. Überall in der Pflege fehle es an Personal: "Da muss dringend was getan werden."

Die Gewerkschaft ver.di will den Druck auf die Politik erhöhen und dabei natürlich den Bundestagswahlkampf nutzen. Die Aktion in Eichstätt ist nur eine von vielen, die noch folgen sollen - am kommenden Donnerstag werden beispielsweise in Kösching Unterschriften gesammelt. Bundesweit fordert die Gewerkschaft kurzfristig 20 000 Vollzeitstellen für Pflegefachkräfte. Der akute Personalmangel sei auch in den Kliniken im Naturpark Altmühltal - also Eichstätt, Kösching und Seniorenheim Titting - offensichtlich, so Arina Wolf von ver.di Ingolstadt. Die Pflegekräfte könnten sich nicht angemessen um die Patienten kümmern, der Zeitdruck sei "extrem".

Der Betriebsratsvorsitzende der Kliniken, Werner Gloßner, berichtete von "massiven Überstunden". Er allein, der schon seit 20 Jahren als Krankenpfleger an der Klinik Eichstätt tätig ist, schiebe über 200 vor sich her, in allen drei Einrichtungen seien es insgesamt mehr als 40 000: "Das ist ein chronisches Problem." Wie die vielen Überstunden unter den jetzigen Bedingungen abgebaut werden können? Schulterzucken.

Es ergebe sich ein "Teufelskreis", meinte Arina Wolf: Durch die physische und psychische Belastung würden die Mitarbeiter öfter krank, die Ausfälle müssten die Kollegen wiederum wettmachen - "diese können daheim nicht abschalten und schielen immer mit einem Auge aufs Handy". Schuld an der Misere sei das "perfide System": "Das erlaubt nicht, Personal nach Patientenbedarf einzustellen, sondern nur nach Budget." Und die Betreiber der Krankenhäuser wollten ja schließlich keine roten Zahlen schreiben. Früher habe es eine gesetzliche Personalbemessung gegeben. Diese sei 1995 wieder abgeschafft worden - unter dem damaligen Gesundheitsminister Horst Seehofer. Der Markt sollte das regeln, "aber das funktioniert nicht", so Arina Wolf.

In der Klinik Eichstätt beispielsweise müsse sich - wie auch in anderen Krankenhäusern - eine Pflegekraft um bis zu 13 Patienten kümmern, in der Nacht um bis zu 40. In den Niederlanden oder den USA etwa liege der Personalschlüssel dagegen bei 1:5.

"Wir brauchen in der Klinik Eichstätt sieben Vollzeitkräfte zusätzlich, um einigermaßen wirksam Abhilfe zu schaffen, in der Klinik Kösching vier", schätzte Werner Gloßner. Die aktuelle Situation im Arbeitsalltag stelle sich so dar, dass das Personal (in Eichstätt sind es in der Pflege rund 140 Voll- und Teilzeitstellen, in Kösching 120) teilweise die Hygienevorschriften nicht einhalten könne und auch die Pausen meist zu kurz kämen. Entsprechend zunehmen würde auch die Fluktuation bei den Beschäftigten, was wiederum zu einem spürbaren Fachkräftemangel führe.

Unterstützung bei der Aktion in Eichstätt gab es von der Bundestagsabgeordneten Eva Bulling-Schröter (Die Linke): "Ich habe kein Verständnis dafür, dass sich die große Koalition hier nicht bewegt." Die Rüstungsausgaben würden steigen, die Investitionen in die Pflege dagegen nicht. Für einen Staat, "der so viel Geld hat", sei dies ein Armutszeugnis.