Eichstätt
"Nähe ist die beste Medizin"

Vor dem 1. Eichstätter Hospiz-und Palliativtag

18.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:20 Uhr

Foto: DK

Eichstätt (EK) Am Freitag findet der 1. Eichstätter Hospiz-und Palliativtag statt - der bereits seit Monaten ausgebucht ist. Hauptreferent ist Professor Christoph Ostgathe, Leiter der palliativmedizinischen Abteilung des Uniklinikums Erlangen. Wir haben vorab mit ihm gesprochen.

Herr Professor Ostgathe, was sagen Sie jemandem, der zu Ihnen kommt und erklärt: "Ich will sterben"?

Ostgathe: Wir müssen diese Äußerung sehr ernst nehmen. Das Erste, was ich darauf antworte, ist: "Ich bin froh, dass Sie diesen Gedanken mit uns teilen." Dann versuchen wir zu ergründen, was die Ursachen dafür sind. Viele Menschen haben Angst vor dem, was auf sie zukommt, Angst vor unerträglichem Leiden, Angst, ihren Angehörigen zur Last zu fallen. Wir versuchen, sie dabei zu unterstützen, sich auch mit anderen Möglichkeiten zu befassen, ihnen zumindest zu zeigen, was palliativmedizinisch und hospizlich erreichbar ist. Der Todeswunsch ist selten dauerhaft vorhanden. Oft wechselt diese Stimmung, wenn der Schmerz nicht mehr so da ist, wenn die Angst nachlässt, wenn Perspektiven entwickelt sind für die eigene Versorgung, für die Angehörigen, dann kann dieser Wunsch auch wieder verschwinden. Wir würden uns viel vertun, wenn wir auf einen derartigen Wunsch unmittelbar etwas anbieten würden, dass derjenige dann alsbald verstirbt.

 

Wie geht eigentlich Sterben?

Ostgathe: Das ist eine gute Frage. Da gibt es eine ganze Vortragsreihe dazu, die sich über Wochen jeweils eine Dreiviertelstunde mit dem Thema befasst. Zusammengefasst lässt sich sagen: Der Körper wird schwächer. Der Mensch ist immer weniger in der Lage aufzustehen, immer weniger über Worte kommunikationsfähig, meistens tritt auch ein Bewusstseinsverlust ein, die Atmung kann sich verändern. Aber das ist alles sehr individuell. Manche Menschen sterben innerhalb weniger Stunden, bei anderen dauert die Sterbephase über Tage, manchmal auch über Wochen. Das ist eine Situation, in der wir medizinisch auch noch sehr viel machen - nicht mit dem Ziel der Lebenserhaltung, sondern mit dem der Steigerung der Lebensqualität in der Sterbephase. Ganz wichtig ist hier die Unterstützung der Angehörigen. Sie sind diejenigen, die weiterleben, die mit dem Erlebten leben müssen. Und wie die damit leben, hat einen großen Einfluss auf deren Wohlbefinden und auf das der sterbenden Person.

 

Was heißt Unterstützung im Sterben?

Ostgathe: Nähe ist die wichtigste Medizin, die Sie geben können. Nähe und Unterstützung der Angehörigen heißt auch: Ich bin für dich da, ich höre auf deine Fragen. Wir Menschen heute kennen das ja gar nicht mehr. Früher wurde in den Familien gestorben, heute geschieht dies mehrheitlich im Krankenhaus. Sterben ist weniger ein medizinisches denn ein soziales Phänomen. Die letzte Lebensphase ist auch Teil des Lebens.

 

Was kann die Palliativmedizin in diesem Prozess tun? Was heißt Unterstützung im Sterben?

Ostgathe: Palliativmedizin hat sich zur Aufgabe gemacht, für Patientinnen und Patienten, die an einer schweren, nicht mehr heilbaren Erkrankung leiden, eine bestmögliche Lebensqualität für diese Zeit zu erreichen. Und da hat sich die Medizin, vor allem die Palliativmedizin, in den letzten 25 Jahren sehr weit entwickelt.

 

Was hat sich verändert?

Ostgathe: Wir wissen heute sehr genau, wie wir Schmerzen sehr gut einstellen können und wie wir die anderen Belastungen gut behandeln können. Dazu gehören nicht nur medizinische, ärztliche Belange. Die Herausforderungen, mit denen unsere Patientinnen und Patienten konfrontiert sind, sind vielschichtig: Zur körperlichen Dimension des Leids kommt die seelische, die psychische, die soziale, aber auch die spirituelle Dimension. Deshalb ist Palliativmedizin, ist Palliativversorgung Aufgabe eines Teams aus Ärzten, Pflegenden, Sozialarbeitern, Physiotherapeuten, Psychologen, Seelsorgern und Ehrenamtlichen - mit dem Ziel, eine gute Lebensqualität zu erreichen.

 

Was ist der Unterschied zwischen palliativ und Hospiz?

Ostgathe: Die Palliativmedizin hat sich aus der Hospizidee entwickelt, ist die Umsetzung der Hospizidee in die medizinische Versorgung in einer Klinik, aber auch zu Hause. Wenn man von den Strukturen ausgeht, so ist Hospiz das letzte Zuhause, Palliativmedizin kümmert sich um Menschen mit einer schweren, unheilbaren Krankheit, versorgt sie, stellt sie ein, damit sie wieder entlassen werden können. Selbstverständlich gibt es auch Schnittpunkte. Hospiz als Idee ist sehr stark vom Ehrenamt geprägt, ist eine Bürgerbewegung.

 

Gibt es genügend Einrichtungen zur Versorgung unheilbar erkrankter Menschen?

Ostgathe: Nein. Wir sind sicherlich weit davon entfernt, an jedem Ort alles das anzubieten, was Patientinnen und Patienten brauchen. Wir haben noch nicht in jedem Krankenhaus, das schwerkranke und schwerstkranke Patientinnen und Patienten betreut, eine Palliativstation oder Palliativversorgung. Und wir haben auch noch nicht ausreichend stationäre Hospize. Es ist über die letzten Jahre besser geworden. Aber von einer ausreichenden Versorgung können wir noch nicht sprechen. Bei der ambulanten Versorgung aber sind wir auf einem guten Weg. Seit 2007 gibt es ja ein Anrecht auf eine Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV), und da ist es so, dass wir bundesweit etwa zwei Drittel der Regionen mittlerweile mit SAPV versorgt haben. Schwierig ist es aber immer noch im ländlichen Raum.

 

Wie wichtig ist in dem Zusammenhang eine Patientenverfügung?

Ostgathe: Es ist grundsätzlich wichtig, dass sich Patienten und deren Angehörige mit diesem Thema auseinandersetzen und sich fragen: "Was würde ich denn wollen in einer bestimmten Situation" Eine Methode ist eine Vorausverfügung, dass ein Patient sagt, in der und der Situation möchte ich bestimmte Maßnahmen nicht oder - aktiv - ich möchte, dass ein Hospizteam, ein Palliativteam mich unterstützt. Eine derartige Verfügung gilt aber nur in dem Fall, dass die Person dann selbst nicht mehr in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Aber: Die Verfügung ist eine Art Kommunikationsmotor in den Familien, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

 

Gibt es auch in Seniorenheimen Ansprechpartner für dieses Thema?

Ostgathe: Weniger. Aber jeder Hausarzt beschäftigt sich damit und ist Ansprechpartner, auch ein Hospizverein. Aber: Das Thema ist noch nicht hinreichend in den Altenpflegeheimen angekommen, wobei seit dem Hospiz- und Palliativgesetz aus dem Jahr 2015 die Möglichkeit besteht, in den Pflegeeinrichtungen eine Advance-Care-Planning-Beratung, eine Vorausplan-Beratung, zu installieren. Das wird dann auch finanziert. Das ist bis jetzt allerdings noch nicht flächendeckend umgesetzt.

 

Welchen Beitrag leistet die Wissenschaft zu diesem Thema? Was ist Ihre Aufgabe?

Ostgathe: Wir forschen, das heißt, wir machen wenig klassische Medikamentenforschung, sondern Versorgungsforschung. Wir schauen uns die Strukturen an und fragen: Sind diese in der Lage, die Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern? Unsere Parameter sind nicht der Blutdruck oder das Blutbild, sondern wir machen viele Befragungen beispielsweise über die Lebensqualität in bestimmten Phasen. Da hat sich in den letzten 25 Jahren sehr viel zum Positiven entwickelt. Alles sehr praxisorientiert.

 

Das Gespräch führte

Hermann Redl

 

 

ZUR PERSON

Christoph Ostgathe, Jahrgang 1965, ist Inhaber des Lehrstuhls und Leiter der Palliativmedizin der palliativmedizinischen Abteilung, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Universitätsklinikum Erlangen. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem: Ethik der Medizin, Entscheidungen am Lebensende, Todeswunsch, palliative Sedierung, Instrumentenentwicklung, Versorgungsforschung. Er ist außerdem Herausgeber der Zeitschrift für Palliativmedizin und Vizepräsident der European Association for Palliative Care. 1985 und 1986 leistete er seinen Zivildienst am Eichstätter Krankenhaus.