Eichstätt
Bis zur letzten Minute im Dienst

Mit Dr. Matthias Karch geht dieses Wochenende der dienstälteste Eichstätter Chirurg in Rente

29.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:13 Uhr

Das kann auch der knöcherne Gefährte im Ärztebüro nicht so ganz glauben: Dr. Matthias Karch verlässt am Montagfrüh nach über 30 Jahren das Eichstätter Krankenhaus in Richtung Ruhestand. - Foto: Schneider

Eichstätt (EK) Nein, über seine letzten Minuten als Arzt hat er sich noch keine Gedanken gemacht. Eins weiß Dr. Matthias Karch aber schon: "Ich werde das Krankenhaus mit gemischten Gefühlen verlassen." Kein Wunder, hat der heute 65-Jährige doch mehr als sein halbes Leben als Chirurg an der Eichstätter Klinik gearbeitet. Er ist einer der letzten "Allrounder" in seinem Fach. Heute kann und darf kein Chirurg mehr "alles" machen, jeder hat sein Spezialgebiet. Eigentlich so wie im Handwerk - und die Parallelen in diesen Disziplinen sind durchaus nicht von der Hand zu weisen. Wahrscheinlich witzeln manche Ärzte aus anderen Fachrichtungen nicht umsonst, dass man als Chirurg eigentlich kein Studium brauchen würde, sondern eine Ausbildung samt Prüfung reichen würde. Feilen, flexen, nageln, schrauben, verschnüren - das muss man als Chirurg auch alles kennen (und können).

Matthias Karch hat aber nicht "gelernt", er hat studiert, und das ganz eifrig - nachdem er sich selbst als eher "faulen Schüler" bezeichnet: "Ich hab halt lieber Zeitung gelesen, mir war die Allgemeinbildung wichtiger." Dementsprechend hat es auch nicht für die perfekte Abiturnote gereicht. Dass Karch, der in Haunstetten bei Kinding aufgewachsen ist, am Willibald-Gymnasium und im Bischöflichen Knabenseminar gelandet ist, statt am heimischen Bauernhof zu bleiben, war ein Rat seines damaligen Volksschullehrers Michael Strobl.

Wie es dann so geht, hat der Knabenseminarist in der elften Klasse von einem Kameraden ein Buch geschenkt bekommen mit dem ominösen Titel "Hinter uns steht nur der Herrgott". Darin hatte der Chirurg Hans Kilian seine Lebenserinnerungen aufgezeichnet. "Das hab ich in zwei Tagen verschlungen." Und der Berufswunsch stand fest. "Ich wollte Chirurg werden." Zumal es da noch eine Begegnung gab bei einem mehrwöchigen "Krankenhilfekurs", den Karch um die Zeit der Führerscheinprüfung herum am Kipfenberger Krankenhaus absolviert hat: Da lief ihm Dr. Fridolin Hug über den Weg, der ihm zum "väterlichen Freund und Vorbild" werden sollte und dem er damals schon im OP assistieren durfte, als Handlanger sozusagen.

Der erste Studienplatz in Mainz folgte im Sommersemester 1972, wo der dann 21-Jährige in eine Kellerwohnung bei einem älteren Ehepaar einzog - "für 80 Mark pro Monat". Der umtriebige junge Mann wechselte später noch an die Universitäten Hannover, Heidelberg und Mannheim, wo er letztlich auch seine Promotion ablegte. Die Semesterferien verbrachte Karch immer daheim - genauer gesagt mit einem Ferienjob im Kipfenberger Krankenhaus. Dort sollte er dann 1978 auch seine erste Stelle antreten, bei Chefarzt Dr. Richard Birkl. Den ereilte allerdings am 1. Mai 1977 ein Herzinfarkt. Bei der Beerdigung verpflichtete der bereits nach Eichstätt gewechselte Fridolin Hug den angehenden Mediziner: "Ich hatte direkt am offenen Grab mein Vorstellungsgespräch."

Aber das Ziel blieb Chirurg. Die nötige Facharztausbildung absolvierte Karch in Freising, "beim Dannegger-Max". Eine harte Schule sei das gewesen, bei einem "hemdsärmligen Chirurgen, der nicht lange gefackelt hat", erinnert sich Karch an seinen 2011 gestorbenen Lehrmeister.

1985 geht's zurück nach Eichstätt, die Facharztprüfung in der Tasche, mittlerweile fünf Jahre mit der heute gerade im westlichen Landkreis in der ambulanten Pflege bekannten Krankenschwester Zenta verheiratet. Sie und seine beiden Kinder haben ihm auch all die Jahre den Rücken frei gehalten. "Alles ging nach meinem Dienstplan." Da wurden Urlaube verschoben, abgebrochen. . . Und er ist seinem Heimatlandkreis nicht mehr untreu geworden, auch wenn wenige Jahre später eine Chefarztstelle im Allgäu winkte. "Ich hätte auch unterschrieben", aber im Nachhinein sei er froh gewesen, es nicht getan zu haben. "Ein Jahr später haben die das Krankenhaus zugesperrt, da wäre ich auf der Straße gestanden. Stellen Sie sich das mal vor!"

Viele Neuerungen hat Karch mitgemacht, gerade in den letzten Jahren, wo sich die Medizin nahezu explosionsartig weiterentwickelt hat. "Du musst schon up to date bleiben", entsprechend viel sei er unterwegs gewesen auf Kongressen und Tagungen. Er selbst fühlt sich in allen Unterdisziplinen "auf der Höhe der Zeit". Dass es heute diese Spezialisierungen auf die einzelnen Fachgebiete gebe, das sieht er aber durchaus als Segen: "Das geht anders nicht mehr."

Karch war es, der zusammen mit einem Kollegen Anfang der 1990er-Jahre die erste Bauchspiegelungsoperation in der Region durchgeführt hat. "Da war Ingolstadt noch lange nicht so weit", freut sich Karch verschmitzt. Und im selben Zeitraum war er mit dabei, als im Köschinger Krankenhaus der erste Herzschrittmacher dort implantiert wurde. Der Kontakt mit den Patienten "auf Augenhöhe", der war ihm immer wichtig. Wenn er übrigens daheim nicht schlafen konnte, "dann habe ich im Bett Visite gemacht und bin die Patienten durchgegangen". Damit ist ab Montag Schluss - von heute auf morgen. Gearbeitet wird bis zum letzten Tag und sogar noch ein bisschen darüber hinaus: Offizielles Dienstende ist am 30. April, aber Karch schiebt noch einen Bereitschaftsdienst hinterher und der endet am 1. Mai um 9 Uhr mit der Übergabe an die Kollegen. Dann hängt er ("hoffentlich gegen halb elf") den Ärztekittel ein allerletztes Mal an den Haken in seinem Büro.

Angst vor einem schwarzen Loch hat er nicht, auch wenn er bis heute "keine ausgeprägten Hobbys" gepflegt habe. "Ich werde aber sicher nicht zuhause sitzen und Rosen züchten." Es geht wohl eher in die geistige Richtung: "Ich vermute, dass ich ein Studium beginne, Kunstgeschichte oder Jura würde mich reizen."