Eichstätt
Radieserl aus dem Online-Shop

Eine Studie der KU untersucht die Herausforderungen beim Lebensmittelhandel im Internet

14.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:57 Uhr

Internet statt Wochenmarkt: Gemüse, Obst, Milch oder Nudeln kann man inzwischen in einigen Online-Shops kaufen. In Deutschland macht diese Art des Handels aber bisher nur rund ein Prozent des Gesamtumsatzes mit Lebensmitteln aus. - Foto: Schneider

Eichstätt/Ingolstadt (EK) Kleider und Elektronik kaufen die Deutschen gern im Internet. Ob sich das Online-Geschäft auch bei Lebensmitteln durchsetzen wird, ist reine Spekulation. Eine Studie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat untersucht, welche Hindernisse die Händler erwarten.

Mit dem Start des Online-Shops "Amazon Fresh" in Deutschland ging die Angst um: Ruiniert der Internet-Riese jetzt das Geschäft der Lebensmittelhändler? Wirkliche Anzeichen dafür gibt es bisher nicht. In der Lebensmittel-Sparte macht der Versandhandel gerade mal ein Prozent des Gesamtumsatzes aus. Amazon testet sein neues Geschäftsmodell zunächst nur in Teilen Berlins und Potsdams. Auch andere Online-Angebote wie die von Rewe, Edeka oder Lidl scheinen keine Selbstläufer zu sein. Ob sich der Handel mit Lebensmitteln im Internet in Deutschland durchsetzen wird, weiß noch niemand.

In der Forschung hat man für solche Fälle ein geeignetes Mittel: eine explorative Studie. Darunter versteht man ein Projekt, das mit Befragungen ein Problemfeld eingrenzt. Dabei wird klar, wo die Knackpunkte liegen und wo weitere Studien ansetzen können.

Genau das hat ein Team aus Wissenschaftlern um Heinrich Kuhn, den Professor für "Supply Chain Management & Operations" an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), getan. Hinter dem Namen des Lehrstuhls verbirgt sich vereinfacht gesagt die Information, dass hier Experten für Logistik und Lieferketten sitzen. An der Studie beteiligt waren weitere Fachleute der KU: Andreas Holzapfel, Johannes Wollenburg und Alexander Hübner, der inzwischen Professor an der Universität Luxemburg ist.

Sie haben Top-Manager von zwölf großen Lebensmittelhändlern in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, England, Österreich und Portugal befragt - "weil es sich abzeichnet, dass andere Regionen in Europa da weiter oder anders entwickelt sind", erklärt Heinrich Kuhn. Die Antworten hat das Team analysiert und so wiederkehrende Muster gefunden. Interessiert hat sie dabei, wie es Supermärkten ergeht, die zusätzlich in das Online-Geschäft einsteigen wollen. Multi-Channelling nennt man diese Strategie. Dabei müssen sich die Händler über folgende Dinge Gedanken machen:

 

n Lieferung oder Abholung: In England, wo der Online-Handel mit Lebensmitteln sieben Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht, hat sich die Lieferung durchgesetzt. Das verursacht für die Händler aber immense Kosten, meint das Forscherteam. Vor allem bei den geringen Gewinnspannen im deutschen Lebensmittelhandel würde sich das nicht lohnen. Besser sieht es aus, "wenn die letzte Meile der Kunde selber macht", erklärt Kuhn. Abholstationen werden laut der Studie in Frankreich gut angenommen. Die Kunden bestellen im Internet und halten auf dem Heimweg von der Arbeit an ihrem Supermarkt. Dort wartet das fertig gepackte Paket in einem Automaten. Edeka Südbayern probiert das gerade ebenfalls aus - mit einem Pilotprojekt in Gaimersheim.

n Lager: Wie der Logistik-Experte Kuhn erklärt, liegen die Waren für Supermärkte in einem Verteilzentrum. Dort findet man sie in großen Gebinden, zum Beispiel mehrere Kartons mit je 20 Gläsern Marmelade. Für den Online-Handel braucht man die Produkte aber in so genannten "Consumer Units", also einzelne Gläser. Sie direkt im Verteilzentrum aus den großen Gebinden herauszureißen, wäre nicht wirtschaftlich, meint Kuhn. Stattdessen lösen manche Märkte das Problem, indem sie so genannte Picker einstellen. Sie laufen stellvertretend für die Online-Kunden durch den Supermarkt und packen die Bestellung zusammen. Doch auch da gibt es Schwierigkeiten. Die Picker können den Kunden im Laden das letzte Glas Marmelade vor der Nase wegschnappen. Oder die Marmelade ist schon aus. Und Online-Kunden können sich dann nicht selbst einen Ersatz aussuchen. Diese Form des "Instore Picking", wie Experten es bezeichnen, funktioniere nur, wenn es höchstens zehn Prozent des Ladenvolumens ausmache. Wenn es mehr wird, muss ein eigenes Lager her oder ein so genannter "dark store", in dem statt Kunden nur Picker unterwegs sind.

 

n Erfolgsaussichten: Ob sich der Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland durchsetzt, ist erstens eine Frage der Mentalität. "Viele Kunden wollen die Tomaten selbst aussuchen", meint Kuhn. Wenn zweitens die Versorgungslage gut bleibt, also hierzulande wie bisher eine hohe Dichte an Läden auch in ländlicheren Gebieten herrscht, setzt sich das Internet-Geschäft nur schwer durch. Und letztlich bleibe es auch eine Frage der Konkurrenz, erklärt Kuhn. Wenn reine Online-Händler wie "Amazon Fresh" oder die Post-Tochter "Allyouneed Fresh" erfolgreich sind, zwingen sie die Supermärkte, in dieses Geschäft einzusteigen.