Eichstätt
"Wir haben es hier meist nicht mit Straftätern zu tun"

Podiumsdiskussion zu "Alltag in der Abschiebehaft" Restriktive Einschlusszeiten in der Kritik

18.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:56 Uhr

Der Kurzvortrag von Pater Dieter Müller (Jesuitenflüchtlingsdienst) eröffnete die Podiumsdiskussion. - Foto: Straßer

Eichstätt (rin) Interessante Eindrücke aus dem Inneren der Eichstätter Abschiebehaftanstalt und viele Informationen zu den rechtlichen Hintergründen gab es am Mittwochabend im Gutmannsaal. Der Verein Tun.Starthilfe für Flüchtlinge hatte zu einem Kurzvortrag mit anschließender Podiumsdiskussion eingeladen, das Thema: "Alltag in der Abschiebehaft".

Den kennt Pater Dieter Müller vom Jesuitenflüchtlingsdienst gut - er besucht einmal wöchentlich die derzeit etwa 90 Flüchtlinge, die in Eichstätt hinter Gittern auf ihre Zwangsabschiebung warten. Er stellte einleitend die rechtlichen Grundlagen vor, die zu einer Abschiebehaft führen - vom negativ verlaufenen Asylverfahren bis zur unerlaubten Einreise. Eine mögliche Voraussetzung für eine Inhaftierung sei der "begründete Verdacht, dass der Geflohene sich der Abschiebung durch Flucht entziehen" wolle, erklärte Müller. Dieser Punkt sei oft fatal: "Fast jeder Betroffene wird gefragt, ob er bereit sei, in sein Heimatland oder ein anderes europäisches Land zurückzugehen. Natürlich verneint man das spontan, auch aus Unwissenheit. Das reicht dann schon." Sein Fazit: Die Abschiebehaft werde "zu schnell, zu lange und zu oft" angewendet.

Ein Manko in Bayern sei für ihn, so Müller, dass es kein Abschiebehaftvollzugsgesetz gebe, das in anderen Bundesländern etwa die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Inhaftierter oder auch Besuchs- und Kommunikationsrechte definiere. Linus Sklenarz, Abteilungsleiter für die Abschiebehaftanstalt Eichstätt, schilderte anschließend den Tagesablauf in seiner Einrichtung: Ab neun Uhr morgens, so Sklenarz, dürften sich die Gefangenen außerhalb ihrer Hafträume bewegen, würden jedoch für Mittag- und Abendessen wieder in die Zellen gebracht. Das Mittagessen sei "bessere Flugzeugkost, da ist nichts zu beanstanden", das Abendessen eine kalte Mahlzeit. Der "Wiedereinschluss" erfolge um 19 Uhr. Jeder Haftraum verfüge über einen Fernseh- und Telefonanschluss; die Telefonzeiten habe man kürzlich auf ein tägliches Limit von zehn Minuten angehoben. Internet sei nicht erlaubt, man plane jedoch, einen überwachten E-Mail-Verkehr zu gestatten.

Auf die Frage aus dem Publikum, wie viele der Anstaltsinsassen in Eichstätt denn "echte" Straftäter seien, betonte Sklenarz, dass bei den rund 500 Neuzugängen im ersten Halbjahr nur zwei oder drei Männer gewesen seien, die sich über einen Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz hinaus strafbar gemacht hätten: "Im weitesten Sinne haben wir es nicht mit Straftätern zu tun." Dass unter dieser Voraussetzung erwachsene Menschen, die sich nichts zuschulden hätten kommen lassen, ab 19 Uhr in der Zelle eingeschlossen würden und kaum Kontakt nach außen haben dürften, stieß bei mehreren Zuhörern im Gutmannsaal auf Unverständnis. Sklenarz begründete die frühe Einschlusszeit von 19 Uhr mit dem großen Konfliktpotenzial durch die unterschiedlichen Kulturkreise der Inhaftierten und der personellen Ausstattung seiner Einrichtung. Moritz Brinkmann von der Tun.Starthilfe fragte deshalb: "Wollen wir deswegen so ein Abschiebehaftvollzugsgesetz, das klare Rechtsansprüche definiert" Während Podiumsgast Christine Klamm, Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, und Pater Müller darin einig waren, gab Sklenarz zu bedenken: "Solche Gesetze sind Ländersache und in Bayern würde so ein Gesetz vielleicht restriktiver ausfallen als in Nordrhein-Westfalen. Wir sollten eigentlich froh sein, dass wir keines haben und damit vielleicht mehr Möglichkeiten, das Ganze liberal zu gestalten." Dem mochte Dieter Müller nicht zustimmen, denn: "Aber was ist mit der Liberalität, wenn ein Hardliner Ihren Posten übernimmt? Wir als NGO (Nichtregierungsorganisation, d. Red.) sind an dauerhaften Lösungen interessiert."

Als weiterer NGO-Vertreter saß Mathias Schmitt von Amnesty International auf dem Podium. Seine Gruppe berät seit Herbst die durchschnittlich zehn weiblichen Gefangenen in der Eichstätter Abschiebehaft. Er habe schon den Eindruck, dass die Mitarbeiter sehr bemüht seien, es den Insassen so erträglich wie möglich zu machen. Die Verzweiflung bei den Frauen sei jedoch groß. "Da hat das europäische Asylsystem versagt. Wir haben hier Frauen aus Eritrea, die wären eigentlich asylberechtigt, sind aber beispielsweise von Italien aus weiter zu uns geflohen, weil die dortigen Aufnahmeeinrichtungen total überfüllt sind. Dann landen sie hier in der Abschiebehaft. Da muss sich einfach am System etwas ändern."