Eichstätt
An der "Aetherwellenorgel"

Der Eichstätter Jörg Mager war ein Pionier der elektronischen Musik

29.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:16 Uhr

Die erste Seite eines vierseitigen Kino-Notenblatts, geschrieben für die berühmte Schauspielerin Lilian Harvey (1906 bis 1968) von Jörg Mager. - Foto: je

Eichstätt (EK) Dieser Mann erfand die Ätherwellenmusik, er war damit der Pionier aller elektronischen Musik. Jörg Mager heißt der Tüftler, der in den 1920er-Jahren bis dahin nie gehörte Töne zum Leben erweckte. Und er stammte aus Eichstätt. Ein spannendes Stück Musikgeschichte.

Jörg Mager erfand ein völlig neuartiges Instrument, das er zunächst Elektrophon, später Sphärophon nannte, außerdem das Partiturophon. 1926 gab er damit in Donaueschingen sein erstes öffentliches Konzert. Der geniale Erfinder war gebürtiger Eichstätter. Sein Bruder Eduard war von 1897 bis 1918 Bürgermeister der Bischofsstadt.

Die Ahnen der "Mager-Buben", der Uhrmacher Johann Baptist und seine Frau Antoinette Mager kamen um 1850 aus dem Schwarzwald über die Umwege Augsburg, Gunzenhausen und Hemau nach Eichstätt. Sie betrieben in der Pfahlstraße im Hause von Bierbrauer Herzog eine Uhrmacherei mit der Spezialität Schwarzwälder Kuckucksuhren.

ANNO DAZUMAL

Sohn Eduard erlernte ebenfalls das Uhrmacherhandwerk und heiratete Cilli Freundorfer. Das Ehepaar bekam elf Kinder. Die Uhrmacher Mager waren noch mit der Kraxe auf dem Rücken durch die Dörfer und Städte gezogen, um ihre Waren zu verkaufen.

Der Bürgermeister war das erste Kind, der Erfinder Jörg Mager das zehnte. Jörg kam 1880 zur Welt. Im "Mager-Buch" (erschienen 1935) heißt es über den Dreijährigen: "Er hat eine sprudelnde Phantasie, friedliebende Güte und eine hochgradige Empfindlichkeit." Er besuchte das Humanistische Gymnasium und die Lehrerbildungsanstalt in Eichstätt und wurde als begabter Klavier- und Orgelspieler bekannt. Nach dem Besuch des Mannheimer Konservatoriums wurde Jörg Mager Privatlehrer in einer adeligen Familie, bis er nach weiteren Stationen - auch in Eichstätt - Lehrer in Aschaffenburg wurde. Er engagierte sich in der Abstinenzbewegung und leitete eine Zeitschrift, die gegen den Konsum von Alkohol wetterte, er wurde Sozialist, kritisierte das Bildungswesen und trat in Berlin eine Hilfslehrerstelle an.

Nachdem die Rundfunkzeit zu Beginn der 1920er-Jahre angebrochen war, wandte sich Jörg Mager dem Medium Radio zu. Als einfacher Fabrikarbeiter machte er sich mit der Technik vertraut, ehe er sich an eigene Konstruktionen wagte. In seiner Biografie schreibt er: "Es gelang mir ein Apparatchen zur Tonerzeugung." Damit erreichte er eine 72-Teilung der Oktave. Nun stand Mager das Glück zur Seite. Staatssekretär Hans von Bredow sowie Professor Wagner als Präsident des Telegrafisch-technischen Reichsamtes und der Heinrich-Hertz-Gesellschaft ermöglichten dem Eichstätter weitere Versuche. "In seiner Werkstätte entstand die Maschine der Zukunftsmusik", heißt es in einer Lebensbeschreibung. Mager experimentierte mit Messing- und Kupferblechen, mit Glasscherben, Sägeblättern, Holzplatten, keramischen Vasen, Filtern, Sieben und Schaltern. Die Idee des Musikers war, "ein Instrument zu schaffen, dessen Ausdrucksfähigkeit die aller bisher erdachten Instrumente weit überflügelt". In der Eichstätter Heimatzeitung schilderte ein Freund Magers, Julius Maria Becker, Leben und Werk des Künstlers. Danach wurde Mager zur Konstruktion elektrischer Instrumente durch ein verstimmtes Manualregister seiner Orgel angeregt. Er tat sich mit der Klavierbaufirma Steinmeyer aus Oettingen zusammen und baute ein Viertelton-Harmonium, veröffentlichte die Ergebnisse seiner Forschung und Versuche in mehreren Beiträgen, unter anderem in "Eine neue Epoche der Musik durch Radio", 1924. Zwei Jahre später präsentierte Jörg Mager sein Instrument auf dem Kammermusikfest in Donaueschingen.

Becker schrieb: "Dem Sohn Eichstätts stand für seine Versuche in Darmstadt das Schlösschen Prinz Emil zur Verfügung. In der kurzen Lederhose stieg er auf den Orgelsitz, spielte, tüftelte und konstruierte. Die Töne, die er hervorrief, hatten etwas Unerklärbares, Zauberhaftes und Imaginäres und schon die leiseste Berührung der Tasten bannte Töne in den Raum, zu denen man unwillkürlich nach gewaltigen Orgelpfeifen, Flöten, Geigen, Saxophonen und Trommeln Umschau hielt, ohne dergleichen vorzufinden."

Im Darmstädter Schlösschen empfing Mager Neugierige und Interessierte in großer Zahl, Gelehrte, Musikgrößen wie Richard Strauß und Fürsten. Bei den Bayreuther Festspielen 1931 gab Jörg Mager die Gralsglocken in "Parsifal" mit seinem Gerät wieder. Für das Kino schrieb Mager in den 1930er- Jahren ein Lied für die "Aetherwellenorgel". Der Titel: "Schäme mich nicht meiner Tränen, heimlich im Kino geweint."

Julius Maria Becker wies noch darauf hin, dass mit dem Instrument Jörg Magers die allerwinzigsten Störungen im Inneren der Erde hörbar gemacht werden konnten. Es sei denkbar, dass damit in Ländern mit häufigen Erdbeben anrollende Erschütterungen im Anfangsstadium festgestellt werden könnten.

Jörg Mager war seit 1903 mit Sophie Mittermaier verheiratet. Das Ehepaar bekam fünf Kinder; zwei wurden Lehrer, drei Techniker. Der Vater verließ seine Familie nach dem Ersten Weltkrieg, um sich ganz seinen Erfindungen widmen zu können. Seine technischen Fähigkeiten reichten aber nicht aus, ein produktionsreifes Instrument zu entwickeln. Mehrmals scheiterte er kurz vor dem Ziel, heißt es in seiner Biografie. So starb der gebürtige Eichstätter am 5. April 1939 verarmt im Aschaffenburger Spital.