Eichstätt
"Altersarmut wollen wir nicht hinnehmen"

Auch im Landkreis steigt die Zahl der Rentner, die Grundsicherung bekommen Verbände fordern Maßnahmen

17.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:38 Uhr

Eichstätt (EK) Sie haben ihr Leben lang gearbeitet, doch als Rentner reicht das Geld nicht, um Heizung, medizinische Untersuchungen oder Medikamente zu bezahlen. Nicht nur angesichts des "Welttags der sozialen Gerechtigkeit" am Montag fordern Verbände wie VdK, KAB und die Caritas Maßnahmen.

Die Stromkosten für seine Nachtspeicheröfen stiegen ständig, das Geld war bei einer Rente von 600 Euro monatlich ohnehin schon knapp. Im Winter musste der Rentner darum seine Heizung immer wieder ausschalten - eine zusätzliche Belastung für den gehbehinderten alten Mann.

In einer ähnlich prekären Situation befand sich eine Rentnerin, die sich einer dringenden Augenoperation unterziehen musste. Eine Voruntersuchung wurde von ihrer Krankenkasse nicht in vollem Umfang übernommen - wie auch im ersten Fall half ihr der Sozialfonds "Nachbar in Not", wie die Rechenschaftsberichte belegen, die Hans Wiesner, Schuldner- und Insolvenzberater bei der Caritas-Kreisstelle, als Beispiele zusammengestellt hat.

Das sind keine Einzelfälle: Auch im Landkreis Eichstätt steigt die Zahl der Menschen, deren Rente nicht zum Überleben reicht. 2007 waren 278 Personen auf Grundsicherung angewiesen, 2012 dann 319 und 2015 bekamen 361 Bürger die Sozialleistung (Landesamt für Statistik). "Wir leben hier nicht auf einer Insel der Seligen", sagt Hans Wiesner, auch wenn die Region im Vergleich gut dastehe. Die Dunkelziffer derer sei hoch, die aus Scham keinen Antrag stellten. "Gerade im ländlichen Raum versorgen sich viele Leute noch aus dem eigenen Garten oder besitzen ein Eigenheim", dann sei zwar ein gewisses Grundvermögen da, werde die Person aber pflegebedürftig, sei die finanzielle Situation mit einem Mal schwierig. In der Stadt dagegen "steigen die Mieten, die Renten aber nicht". Daher ist es für ihn auch "unverständlich", dass 2016 der Mietzuschuss (Wohngeldstufe) abgesenkt worden ist.

Wie viele von Altersarmut betroffene Menschen die Caritas um Rat fragen, sei schwer festzustellen, sagt Hans Wiesner, da sie je nach Problemlage verschiedene Beratungsdienste aufsuchen. Bei der Eichstätter Tafel wurden 20 der 100 Ausweise für ältere Menschen ausgestellt. Die Antragszahlen im Bereich Altersarmut von "Nachbar in Not" schwanken stark (2014: zwölf, 2015: drei, 2016: fünf). "Wenn man aber schon mit 300 Euro weiterhelfen kann, sieht man, wie arm manche Leute sind."

Auch beim Sozialverband VdK stellt man fest, dass sich Fragen zur gesetzlichen Rente - und wie man davon leben kann - häufen. Das sei auch kein Wunder, wenn man sich die kärglichen Bescheide vieler Geringverdiener anschaue, sagt Kreisgeschäftsführer Werner Böll. Wer zudem seinen Beruf aufgrund gesundheitlicher Gründe nicht mehr ausüben könne, rutsche oft in die Armut ab und "ist gleich doppelt gestraft". Es fehlen nicht nur die Verdienstjahre, "man muss auch noch Rentenabschläge von 10,8 Prozent hinnehmen". Verbesserungen bringe das "Erwerbsminderungs-Leistungsverbesserungsgesetz", das diese Woche vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, kaum. Der VdK habe eine Streichung der Abschläge gefordert - dem wurde nicht entsprochen.

Auch sonst ist Böll mit dem Gesetz unzufrieden. "Wir kritisieren, dass die Zurechnungszeit, die von 2018 bis 2024 stufenweise von 62 auf 65 Jahre erhöht wird, nur für Neurentner gelten soll." Die jetzigen Erwerbsgeminderten gingen also leer aus. Doch auch wer ab 2018 gesundheitlich nicht mehr in der Lage sei zu arbeiten, dem bringe die Verbesserung nicht viel, "zwischen 50 und 60 Euro netto, und das erst, wenn man die Endstufe erreicht hat", erklärt Böll. Das werde bis dahin ohnehin von der Preissteigerung "weggefressen".

Die Erziehung der Kinder, Pflege von Angehörigen, Teilzeitarbeit oder geringerer Verdienst bei gleicher Tätigkeit - Altersarmut ist ein Frauenproblem. Der Bund solle etwa die Mütterrente aus Steuer- statt Rentenmitteln finanzieren, denn Kinder seien ein gesellschaftlicher Auftrag, "das ist kein Rentenproblem". Dann bleibe auch Geld über, um das Rentenniveau bei mindestens 50 Prozent zu halten, fährt Böll fort. Wenn das Niveau, wie befürchtet, bis 2030 auf 43 Prozent sinke, "rutschen automatisch immer mehr Menschen in die Altersarmut ab".

Die Frage, welche Wertschätzung Arbeit in der Gesellschaft erfahre und wie ein gutes Leben - auch im Alter - aussehe, "das ist komplett aus dem Fokus geraten", sagt KAB-Diözesansekretär Ulrich Berber. Daher habe man 2017 im Hinblick auf die Bundestagswahl "Altersarmut" zum Jahresthema erklärt.

Die Lösungen "liegen längst auf dem Tisch", bekräftigt Berber, was fehle, sei der politische Wille. Das Rentenmodell der katholischen Verbände sehe eine Sockelrente vor, die das Existenzminimum aller steuerpflichtigen Bürger sichern soll. Darauf aufbauend soll es eine Arbeitnehmer-Pflichtversicherung geben, die auf Beitragszahlungen beruht. Die betriebliche-, beziehungsweise private Altersvorsorge ergänzt als letzte Stufe das Modell.

In einer Studie habe das Münchner ifo Institut bestätigt, dass sich das Modell finanzieren lasse, sagt Berber, der hofft, dass dem Thema heuer die sozialpolitische Aufmerksamkeit zukomme. "Die bisherigen Konzepte reichen nicht aus. Altersarmut wollen wir nicht hinnehmen."