Eichstätt
Aktion von "unwiderstehlich tödlicher Schönheit"

14.05.2010 | Stand 03.12.2020, 4:01 Uhr

Marc Köschinger hält seine Street-Art in der Pfahlstraße – das von Schmetterlingen befallene Haus samt dem davor geparkten Käfer-Wrack auch fotografisch in verschiedensten Stimmungen fest. - Foto: Köschinger

Eichstätt (EK) Wer sprichwörtlich "die Motten kriegt", der drückt mit dieser Metapher seine Überraschung aus. Wenn’s am End auch noch ein altes Gwand ist, das die Motten kriegt, dann bleibt davon meist nur noch Staub und vorbei ist es mit Glanz und Herrlichkeit.

Eichstätt hat nun bis hinein in den Oktober ein Haus, das die Schmetterlinge bekommen hat, und das damit wohl nun so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen dürfte, wie ihm, dem an die 240 Jahre alten Bürgerhaus mit der Hausnummer 7 in der Eichstätter Pfahlstraße, schon Jahrzehnte nicht mehr zuteil wurde. Mag sein, dass dieses Haus nach der sensationellen Kunstaktion des Ingolstädter Street-Art-Künstlers Marc Köschinger und nach dem Weltrekordversuch in Sachen "die Schmetterlinge kriegen" in aller Schönheit stirbt.

Der stolze Besitzer würde das denkmalgeschützte Ensemble gerne zu einem fairen Preis veräußern, allein, es fehlt an solventen Interessenten, die für das altersschwache Trio eine neue Nutzungsherausforderung bereithalten. Möglicherweise führt die Berühmtheit, die Marc Köschinger mit seiner Installation "Schmetterlingsschwarm" dem Häuserensemble an der Pfahlstraße nun national verschaffen dürfte, aber doch noch zur Rettung.

Köschinger, der in seinem ersten Beruf Fotograf ist und viele Jahre auch für namhafte TV-Sender als Art Director gearbeitet hat, entdeckte das Haus, als er sich in der Altmühlstadt umsah, um für seine Idee "Schmetterlingsschwarm", mit der er sich für das Eichstätter Kunst- und Kultur-Highlight 2010, Open HeART, beworben hatte, ein passendes Objekt zu finden, dem er mit "unwiderstehlich tödlicher Schönheit" zu Leibe rücken wollte.

Die Jury des von Eichstätts Kulturbeauftragtem Professor Günther Köppel angestoßenen, inspirierten und mit leidenschaftlicher Verve vorangetriebenen Kunstereignisses im öffentlichen Raum, war sofort von Köschingers Idee begeistert, allerdings wusste man zunächst kaum eine Antwort auf die Frage: Wer soll das bezahlen?

Kunst findet aber immer einen Weg in die Öffentlichkeit und zu den Menschen – konkret: Köschinger hat dem Hausbesitzer, dem er von Herzen dankbar sei, so Köschinger im Gespräch mit dem EK, und der Stadt das Street-Art-Meisterwerk einfach geschenkt, Köppel warb unter seinen Kunststudenten um Mithilfe bei der Montage des riesigen Schmetterlingsschwarms, der städtische Bauhof bot alle seine technischen Möglichkeiten und einige Man-Power auf und die Mediengestalter von Kräck + Demler machten mit der Produktion der insgesamt wohl 40 000 weißen Papier-Papillons einmal mehr außergewöhnliche Kunst in Eichstätt möglich.

Ja, und nun will Köschinger nicht nur die Eichstätter und die Besucher der Stadt erfreuen und begeistern, es soll sein atemberaubendes Kunstwerk der Bischofs- und Universitätsstadt auch ins Guiness-Buch der Rekorde verhelfen. Ein bescheidenes Dankeschön an die Stadt und an alle Kulturschaffenden vor Ort wäre das, so Köschinger.

Dabei sieht Marc Köschinger das ganze Projekt nicht nur als "schöne Kunst" in der Öffentlichkeit. Nein, ein schelmisches Augenzwinkern begleitet Köschingers Hinweis denn auch, dass die Schmetterlingsarmada eine Erinnerung aus seiner Kindheit sei, die er vor Jahren in Paraguay verlebt habe. Dort, so Köschinger sind die Schmetterlinge nicht nur hübsche Luftgaukler, sie sind auch Aasfresser oder besser: Aastrinker. In riesigen Schwärmen lassen sie sich auf Tierkadavern nieder und saugen diese aus bis nur noch eine mumifizierte Hülle bleibt. Der Schmetterling als "Todesvogel", als "Totengräber" also und nicht als die munter im Wind tänzelnden "Blüten" unter den Insekten, die dem Menschen spätestens seit dem Barockzeitalter als Sinnbild für ewiges Leben galten. "Schmetterlings-Fallenkunst" ist Köschingers weißer Schwarm in der Pfahlstraße demnach auch.

Gerade wenn es den Passanten und Betrachtern am besten gefällt, dieses Street-Art-Meisterwerk, beschleicht sie vielleicht auch ein etwas mulmiges Gefühl – so wünscht sich Köschinger jedenfalls. Diese stille Invasion scheint sich ja nicht alleine am Haus Pfahlstraße 7 zu delektieren, längst ist sie auch über einen ziemlich ausgebeinten Mexiko-Käfer hergefallen, den Köschinger nach Eichstätt transportieren ließ, um abzusichern, dass das Schmetterlings-Haus nicht immer wieder mit parkenden, ganz und gar "vitalen" Autos zugestellt wird und auch, um das Kunstwerk vom Haus weg in die Straße und in die ganze Stadt hineinzutragen und hineinwirken zu lassen. So tauchen die mit Heißluftpistole ans Schmetterlings-Haus angeklebten Windkünstler nicht nur in der Pfahlstraße auf, sie tanzen längst durch die ganze Stadt und sie werden hoffentlich, so Köschinger schließlich, von vielen Eichstättern selbst und von den Besuchern der Stadt mitgenommen, um die stille Kunstsensation aus der Altmühlstadt hinaus in alle Welt zu tragen.