"Der dickste Akt im ganzen Amt"

Zur Stadtgeschichte: Vor 75 Jahren wurde Dompfarrer Johannes Kraus verhaftet

29.11.2015 | Stand 02.12.2020, 20:29 Uhr

Johannes Kraus. Arch - foto: privat

Eichstätt (EK) „Kraus ist ein außerordentlich scharfer und fanatischer Kämpfer gegen den Nationalsozialismus“, erklärte der Ansbacher Regierungspräsident Dippold in seinem Bericht für Februar 1937. Und Staatsanwalt Riedl vom Sondergericht München schrieb 1940, Kraus genieße sogar „die Achtung seiner Gegner, die bedauern, dass er nicht auf der Seite der NSDAP kämpft“. Vor 75 Jahren, am 29. November 1940, wurde Johannes Kraus, der unbequeme Eichstätter Dompfarrer, von der Gestapo verhaftet. Fast ein Jahr verbrachte er in Nürnberg im Gefängnis.

Bekannt geworden war Kraus durch seine regimekritischen Predigten, die über Deutschland hinaus als Flugschriften Verbreitung fanden. Seine Ausweisung aus der Diözese Eichstätt durch die Nationalsozialisten am 12. April 1937 war geradezu spektakulär misslungen. Eine auch im Ausland viel beachtete Predigt Bischof Rackls und der mutige Protest von 2500 Personen gegen die NS-Maßnahme hatten die Ausweisung scheitern lassen. Auf Anordnung Adolf Hitlers unterblieb eine Inschutzhaftnahme von Kraus.

1940 brachte eine leichtfertige Bemerkung den Dompfarrer schließlich doch hinter Gitter. Als das Kreuz des hl. Nepomuk auf der Eichstätter Spitalbrücke in der Nacht von 16. auf 17. November 1940, einem Sonntag, zum dritten Mal innerhalb von drei Jahren geschändet worden war, übernahm Kraus die Predigt im Dom. Er zählte alle Kreuzesfrevel seit 1933 auf und erklärte dabei sinngemäß, er fürchte, der Täter werde auch dieses Mal nicht ermittelt werden, obwohl so viel Polizei in der Stadt sei. Der Täter, ein Polizist einer Einheit des Polizeiausbildungsbataillons Nürnberg, die in Eichstätt stationiert war, nahm sich noch am selben Tag das Leben.

Wenngleich sich die exakte Predigtformulierung polizeilich nicht mehr feststellen ließ, nahmen zwei Beamte der Gestapo Nürnberg-Fürth den Dompfarrer wegen Kanzelmissbrauchs (. 130 a Reichsstrafgesetzbuch) ohne Verhör am 29. November im Landratsamt Eichstätt fest und brachten ihn in das Untersuchungsgefängnis Nürnberg. Die Verhaftung war vom Inspekteur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes München angeordnet worden. Zuvor waren Partei- und Staatsstellen befragt worden, denn nach den Erfahrungen seit 1937 wagte es die Gestapo nicht, Kraus einfach festzunehmen.

Einer der maßgeblichen Betreiber der Verhaftung war wohl Landrat Bäuml. Er und seine Polizei, so Bäuml, seien „durch die […] Bemerkung in der Predigt des Herrn Dompfarrers beleidigt“ worden. Deshalb erstattete er – wie auch der Regierungspräsident – Anzeige gegen Kraus.

Die Verhaftung des Dompfarrers rief unterschiedliche Reaktionen in Eichstätt hervor. Offensichtlich stand ein großer Teil der Leute auf seiner Seite. Beeindruckend war der Mut von zwei jungen Frauen, nämlich Franziska Hopf und Maria Wallner. Sie fuhren am 5. Dezember 1940 zum Staatssekretär des Reichsstatthalters in Bayern, General Hofmann. Auf ihre Initiative hin schaltete sich Reichsstatthalter von Epp für den ehemaligen Offizier Kraus wiederholt ein. Als die Frauen auch bei der Gestapo in Nürnberg vorsprachen, wären sie selbst fast festgenommen worden. In den folgenden Monaten setzten sich hochrangige Personen für Kraus ein. Joseph Warmuth, sein Anwalt, verhandelte mit vielen Stellen zwischen Eichstätt und Berlin, die mit dem Fall betraut waren. Doch zunächst hatte das Reichssicherheitshauptamt Berlin noch großes Interesse an der weiteren Inhaftierung von Kraus. Der zuständige Bearbeiter erklärte, der Fall Kraus sei „der dickste Akt im ganzen Amt.“ Zudem hatte der Regierungspräsident berichtet, seitdem „ Kraus nicht mehr in Eichstätt ist, kann eine Mäßigung in den Kanzelausführungen und sonstigen Werbemethoden der kath. Geistlichkeit festgestellt werden“.

Zur Freilassung des Dompfarrers trug Staatsanwalt Riedl bei. Eine Lösung zeichnete sich ab, als Kraus sich bereit erklärte, nicht mehr nach Eichstätt zurückzukehren. Darauf hatten Parteistellen gedrängt.

Am 9. September 1941 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Kraus ein, vor allem weil die Gefährdung des öffentlichen Friedens von dem Kreuzesschänder ausgegangen war. Zugunsten von Kraus sprachen auch seine hohen Auszeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Zwei Monate später, am 6. November, konnte Kraus entlassen werden. Er verzichtete auf sein Kanonikat im Domkapitel und übernahm eine Stelle als Kooperator in Herrieden. 1951 holte ihn Bischof Schröffer nach Eichstätt zurück. Kraus starb am 9. Januar 1974.