Raus aus der wohlgefälligen Selbstbestätigung

01.09.2016 | Stand 02.12.2020, 19:21 Uhr
Cendra Polsner bewegt sich beruflich und künstlerisch in der digitalen Welt, lebt aber ansonsten bewusst möglichst analog. −Foto: Chloupek

Eichstätt (EK) Was bedeutet digitale Kunst? Was kann sie, was soll sie können, was macht sie aus? Für die Eichstätter Grafikdesignerin und Künstlerin Cendra Polsner sind das Kernfragen ihres Schaffens. Angesichts ihres inzwischen internationalen Renommees in diesem Metier darf sie als Fachfrau für diese Fragen gelten. Ein Hausbesuch bei ihr.

Mit ihren 42 Jahren ist Cendra Doreen Polsner keine „digital native“, wie heutzutage jene Generationen genannt werden, denen digitale Kommunikationsgeräte schon in die Wiege gelegt werden. Im Gegenteil, die gebürtige Ingolstädterin, die mit ihrem Mann Stephan Lina in dessen Heimatstadt Eichstätt lebt, hat eine „voll analoge Kindheit“ verbracht – wofür sie heute noch dankbar ist – und eine äußerst kreative und privilegierte Jugend, die sie als Kunststudentin von der Kunstakademie weg direkt ins pulsierende London der 1990er Jahre gespült hat.

Ihre Mitarbeit am Performanceprojekt „Passion principle“ hat sich dabei als Volltreffer erwiesen und ihr in London ein Stipendium eingebracht. Sie arbeitete im kleinen, aber feinen Multimedialabel „World in the park“ und befand sich mitten in der brodelnden Ursuppe der globalen Trends. Vieles von dem, was Polsner und ihre Clique damals als Avantgarde vorgedacht und geschaffen haben, ist heutzutage in der „Hipster“-Bewegung vom Mainstream aufgesogen. Damals hat die Geburtsstunde der digitalen Kunst geschlagen, und Cendra Polsner war mitsamt ihrer sprudelnden Kreativität mittendrin: „Wir waren voller Visionen, voller positiver Stimmung“, erinnert sich Polsner an diese Zeit zurück, stutzt kurz und sagt dann: „und das ist heute gekippt“.

Denn obwohl Smartphone, Laptop und Computer ihr tägliches Handwerkszeug sind: Die digitale Entwicklung in der Gesellschaft sieht Cendra Polsner durchaus auch kritisch. Und genau hier sieht sie eine enorme Bedeutung und die zentrale Aufgabe der digitalen Kunst.

Für sie ist digitale Kunst viel mehr als Kunst aus dem Computer. Natürlich sei der PC oder Laptop wie ein Werkzeug, wie Pinsel oder Spachtel anzusehen. Das greift in Cendra Polsners Augen aber viel zu kurz: „Digitale Kunst ist eigentlich mehr und wichtiger. Es geht nicht nur um ein ästhetisches Mittel. Ich sehe es als digitales Mittel, das über das Digitale spricht und sprechen muss.“ Selbstreflexion also! Und damit ist Polsner im Zentrum der heutigen digitalen Welt.

Denn die Künstlerin verfolgt das meist unreflektierte Treiben vieler Nutzer auf Facebook, Instagram und Co. mit wachsender Sorge. „Schau dir doch mal die Leute dort an, die sehen alle gleich aus, posten das Gleiche, liken das Gleiche, wo ist denn da die Individualität!“ Dazu dann noch der zunehmende gesellschaftliche und zeitliche Druck, dem sich Menschen durch das exzessive Nutzen von sogenannten sozialen Netzwerken ausgesetzt sehen! „Du musst immer in der Gegenwart parat sein, immer reagieren, immer abtasten.“ Wer mag mich? Klick. Klick. Klick.

Die Menschen werden dadurch zu Getriebenen, die in ihrem Alltag noch weniger Zeit fänden, ihr Leben und ihr Verhalten zu reflektieren. Also braucht es hier die Kunst, die diese Aufgabe übernimmt, das ist für Cendra Polsner sonnenklar. „Wie komme ich raus aus dieser Spirale der wohlgefälligen Selbstbestätigung? Wenn digitale Kunst interessant sein soll, muss sie darüber sprechen.“

Das ist wirklich spannend, weil diese digitale Kunst gleichzeitig das Problem bespricht, während sie doch Teil des Problems ist. Diese Grenzen testet Cendra Polsner leidenschaftlich gerne aus. Wie in ihrem „Panicroom“, mit dem sie im Frühjahr auf der „art-muc-digital“, deren Mitinitiatorin sie ist, Aufsehen erregt hat. „Das war ein ziemlicher Erfolg und hat mir auch eine neue Galeristin aufgetan“, freut sich die Eichstätterin. Polsner ist in München mit Rauminstallationen aufgewachsen, sie hat schon als Zwölfjährige ihre Schulaufgaben gerne im Lenbachhaus nahe der Beuys-Exponate gemacht. Ihre digitalen genreübergreifenden Arbeiten in Raum, Bewegung, Licht und Ton sind im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus inzwischen längst eine eigene Marke. Polsner arbeitet dabei gerne und oft im Team und gilt inzwischen auch als gefragte und stilsichere Kuratorin in ihrem Metier.

Für den „Panic-room“ hat sie kaltweiße flirrende Licht- und eisklirrende Toneffekte per digitaler Projektion in einen Raum voller Bleikristallstelen prasseln lassen. Die Wirkung muss faszinierend und beklemmend gewesen sein. Es ging um Spiegelungen und Widerspiegelungen, und auch das Bleikristall war mit seiner Transparenz bewusst gewählt, und reflektiert in Erinnerung an Polsners Großmutter, eine schlesische Adelige ohne Ariernachweis, die persönliche Transparenz, der sich Menschen im Internet oft aussetzen. Das Ganze war interaktiv programmiert – die Kunst reagiert auf den Menschen ebenso wie umgekehrt. „Das Feedback war stark“, freut sich Polsner – in der Zustimmung und auch in der Ablehnung. Kalt gelassen hat die Installation kaum jemanden. Die Eichstätter dürfen sich da auch an die unvergesslichen „Lichtnächte“ erinnert fühlen, mit der Polsner und Kollegen die Stadt 2011 verzaubert haben. Damals allerdings nicht mit Beklemmung, sondern mit höchst positiver Emotion und Euphorie.

In einer ihrer neuen kritischen Arbeiten will Polsner noch einen Schritt weiter und das Zusammenspiel Dichte und Transparenz auf die Spitze treiben: Am Ende soll der Diamant als starkes Sinnbild für das sich permanent verdichtende, beschleunigende und durchleuchtete Leben in der digitalen Welt stehen, das mit einer künstlichen Vergänglichkeit via „Snapchat“, den Wert der Information, aber eben auch den Druck noch maximiert. Dabei sorgt die Verdichtung von ständig verfügbarer Information für die größte Transparenz: „Alles ist für jeden jederzeit abrufbar. Das kann positiv sein, aber eben auch negativ.“ Außerdem grübelt Polsner an einem Code, der sich selbst entwickeln und dann zerstören soll – hier geht es dann um Vergänglichkeit im Digitalen und ist durchaus philosophisch zu verstehen.

„Es geht um unser gesellschaftliches Gelingen.“ Polsner sieht die Aufgabe einer Künstlerin in der Gesellschaft darin, sich die Zeit zu geben, relevante Themen zu ergründen, zu denken und dank ihres kreativen Talents und fundierten handwerklichen Könnens durch Kunst auszudrücken. „Das ist wirklich ein Luxus, den die meisten Menschen in ihrem Alltag ja nicht haben – und das ist genau unser Job als Künstler.“ Deshalb ist es für Polsner auch nötig und wichtig, das Programmieren von Grund auf zu beherrschen und sich nicht auf vorgefertigte Programme a la Adobe zu verlassen: „Ein echter Maler mischt sich seine Farben aus Pigmenten auch selbst zusammen und nimmt keinen vorgebauten Malkasten.“ Hier geht es ihr auch um ihre Individualität. „Malen nach Zahlen“ ist nun einmal nicht ihr Ding – im buchstäblichen und im übertragenen Sinn.

Doch wie leistet man sich diesen hohen gesellschaftlichen und künstlerischen Anspruch, wenn der Kühlschrank täglich gefüllt sein will? Da hat Cendra Polsner inzwischen gut lachen – und das nicht, weil ihr Mann als Rundfunkjournalist ebenfalls Geld nach Hause bringt: Sie hat sich zwei Existenzen aufgebaut, die sich gegenseitig befruchten und nun auch Früchte tragen. Neben der Kunst, arbeitet Polsner auch „kommerziell“, wie sie das nennt; meist klassische Agenturarbeit für Werbung, Film und Events, Motion Graphics für Kampagnen, Trailer und Videoinstallationen, die je nach Kundenwunsch auch Geschichten erzählen – etwa, wenn Siemens ein neues Produkt in ihrer Medizinsparte in den Markt einführen will.

Über ihren aktuellen Großauftrag darf sie nicht viel erzählen: „Höchste Geheimhaltungsstufe“, sagt sie absolut glaubwürdig – nicht aus arrogantem Getue heraus, sondern, weil es halt so ist. In zwei Monaten müssen sie und ihr internationales Team, das sie steuert, einen Megaevent für einen Weltkonzern in Zürich abliefern. „Da werden haufenweise VIPs auflaufen“, meint Polsner. Ohne digitale Vernetzung ginge da gar nichts, sagt sie. Wichtiger ist ihr aber nach wie vor das „analoge“ Netzwerk, der Freundes- und Kollegenkreis, den sie nicht auf Facebook, sondern von Angesicht zu Angesicht pflegen will.

Dieses Netzwerk hat sie sich in langen Jahren aufgebaut, das ist ihr wichtig, davon nährt sich Cendra Polsner persönlich und beruflich, während sie im Internet kaum für sich wirbt. Deshalb lebt sie weiter möglichst in der analogen Welt, liest Fachliteratur in Buchform, führt ein Notizbuch und begnügt sich nicht damit, dass ihre Kollegen auch zum Ende dieses Pressebesuchs am heimischen Küchentisch mit einem „Bing“ ihre Onlinepräsenz für eine Konferenz ankündigen: Eine Stunde später ist Cendra Polsner auf den Weg nach München und dann weiter nach Zürich – ganz analog, mit Smartphone und Macbook in der Tasche.