Attenzell
Schaurige Unterwelt

Umstrittene Theorie: Wurden in der Arndthöhle Menschen geopfert?

26.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Über 80 Stufen ist die Arndthöhle bequem zu erreichen. Der Weg führt in einen 30 Meter tiefen Schlund (oben). Ohne gute Taschenlampe ist der Besucher aufgeschmissen. Hier unten bekommen die Begriffe Zeit und Raum eine andere Bedeutung (unten links). An der Decke wachsen kleine Stalaktiten. Früher soll es hier viele Tropfsteine gegeben haben, die Souvenirjäger haben mitgehen lassen. - Fotos: baj

Attenzell (EK) Die Unterwelt ist bequem zu erreichen: 80 betonierte Stufen führen in einen finsteren Schlund. Hier, tief im Bauch der Erde, braucht es nicht viel Fantasie, um eine – umstrittene wie gruselige – Theorie nachvollziehen zu können.

Dort sollen Menschen geopfert worden sein. Mitten im Forst weist ein verwittertes Holzbrett mit geschwungenen roten Buchstaben auf das Ziel hin: Arndthöhle. Der Begleittext auf einer weiteren Tafel hat auch schon bessere Tage gesehen. Umsäumt von Bäumen tut sich im Boden unvermittelt ein großes Loch auf. 30 Meter reicht es in die Tiefe. Bis der Landkreis die Betonmischer hat anrücken lassen, war das Befahren der Höhle ein mühseliges Unterfangen, das eigentlich nur mit alpiner Ausrüstung zu bewerkstelligen war. „Bis zum Bau der Treppe in den 1970er Jahren hat sich die Höhle so präsentiert: ein Schacht im Felsen“, sagt der Archäologe und Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Rieder.

Die Existenz dieses Schlundes ist lange bekannt. Spätestens 1799 wurde die Höhle erkundet; jedenfalls gibt es aus diesem Jahr einen Bericht. „Auf dem Boden liegen allerlei Gebeine von Tieren allenthalben herum“, heißt es darin.

Also auf nach unten. Der Abstieg bestätigt den ersten Eindruck von Vernachlässigung. Jemand hat dünne Fichtenstämme in den Abgrund geworfen. Der Besucher muss sich um sie herumschlängeln. Auf das wackelige Geländer sollte sich niemand verlassen. Unten angelangt ist der Eingang nur noch als heller Fleck sichtbar. Taschenlampen sind ein absolutes Muss. Eine Jacke ist ebenfalls angeraten. Die Temperatur ist immer frostig; da kann draußen die Sonne noch so sehr vom Himmel knallen.

Im Schein der Lampen öffnet sich eine erste Halle. Zu entdecken sind Kamine, die allerdings verpfropft sind. Weite Teile des ursprünglichen Höhlensystems sind nicht mehr zugänglich; davon künden mehrere eingebrochene Stellen. Rieder weist auf die Decke, die deutliche Spuren von Ruß trägt. Taschenlampen gibt es noch nicht allzu lange; vorher erkundeten die Forscher im flackernden Licht von Fackeln die Höhle.

Nach der letzten Stufe steht der Besucher vor einem niedrigen Durchschlupf, der nur gebückt passiert werden kann. Danach steht er in einer zweiten Halle. Der einstige Heimatpfleger Anton Gäck hat einmal geschrieben, dass dort unten 100 Leute Platz hätten. Da hat er sich wohl verschätzt. Tatsächlich könnten in der Höhle weit mehr Personen unterkommen.

„Hier hat es früher, noch in den 1920er Jahren, viele Tropfsteine gegeben“, weiß Rieder, „obwohl die im Dolomit eher selten sind.“ Davon ist heute kaum mehr etwas zu sehen. Souvenirjäger haben sie alle abgebrochen. An der Decke glänzen im fahlen Licht einige Stumpen; die Neubildung von Stalaktiten hat eingesetzt. Es wird aber noch sehr lange dauern, bis sie eine ansehnliche Größe erreicht haben. Man rechnet acht bis 15 Millimeter – pro Jahrhundert. Die Decke ist zerklüftet und bietet zahlreiche interessante Einblicke. Spektakuläre Formationen gibt es jedoch nicht. Archäologisch wurde die Höhle nie erforscht. An der Oberfläche fanden sich Tierknochen, ebenso mittelalterliche Keramikreste. Franz Xaver Mayr, der „Vater“ des Juramuseums, hat einige Stücke geborgen. Zu sehen sind sie heute auf der Willibaldsburg. Rieder selbst hat zerschlagene Menschenknochen aus der Höhle geholt. Daraus entwickelte sich die Hypothese eines Kultortes, an dem Menschen geopfert wurden. Rieder hält nicht allzu viel von dieser Schacht-Opfer-Theorie. Ein überzeugender Beweis sei bis heute nicht erbracht. Aus anderen Höhlen sei dagegen nachgewiesen, dass menschliche Überreste aus Friedhöfen dort „entsorgt“ wurden. „In einen Schacht, da schmeißt man was rein“, so die drastische Formulierung des Archäologen. Sozusagen ein bequemer „Müllschlucker“.

Gleichwohl wird die Arndthöhle offensichtlich als Kultplatz gesehen – von modernen Jüngern und Esoterikern. Davon zeugen verblichene Blumengebinde, die an der hinteren Höhlenwand abgelegt sind. Mal sehen, wie spätere Forscher diese Hinterlassenschaften interpretieren.