Dietfurt
Mit dem Sarg von Wirtshaus zu Wirtshaus

09.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:04 Uhr

Der Chinesenfasching muss zu seinem Ende gehörig Haare lassen. Bei jeder Station des Leichenzugs wird dem Opfer ein Streifen Haupthaar geschert.

Dietfurt (DK) "Prinz Karneval ist tot", ruft der weiß geschminkte und weiß gekleidete Anführer des Leichenzuges in die Masse der ausgelassen johlenden Menschen. Seine Begleiter schlagen infernalisch auf ihre Trommeln ein. "Uuuh", raunt es wehklagend unter den Narren.

"Der Chinesenfasching ist tot". Wieder kommt ein schmerzhaftes "Uuuh" aus der Menge. Kurz zuvor hatte das närrische Volk, sämtliche Chinesengeister und natürlich allerlei Maschkerer noch quietschvergnügt seiner tollen Majestät gehuldigt. Doch nun drängen sich die weißen Trauergäste mit dem Sarg in ihre Mitte und heben zum Faschings-Schlussakkord an.

Die Trauernachricht kommt jedoch nicht unvorbereitet. Schon die "Leich-Bitterin" hatte das Ende des Frohsinns seit dem Vormittag verkündet. Überall hatte sie die Leute zur mitternächtlichen Beerdigung des Chinesenfaschings eingeladen. Unter dem Gewand der "Leich-Bitterin" steckt Christian Linz, seit 1987 ist er an diesem Tag der Vorbote für das schaurig-schöne Ende, das dem Fasching in der Chinesenstadt unausweichlich zuteil wird.

Er setzt eine Tradition fort, die der Friseurmeister Xaver Tischler vierzig Jahre lang gepflegt und bis 1961 zu einer eigenen Tradition für Dietfurt geprägt hat. Seither wartet am Faschingsdienstag gegen Mitternacht ein Spektakel auf die Faschingsfreunde, das die ganze Herrlichkeit, die ausgelassene Heiterkeit, den hinterfotzig-ironischen Witz und die sorglose Weltverrücktheit der Maschkererzeit noch einmal hoch kocht.

Danach ist alles vorbei. Zur Geisterstunde wird der Fasching beerdigt. Nein, nicht beerdigt – auch da schert die "China-Town" aus der üblichen Tradition aus. Hier in Dietfurt wird der Fasching in Form einer Puppe mitten auf dem Stadtplatz verbrannt, und der Auftakt dazu beginnt, wenn die "Leich-Bitterin" von ihrem Gang zurückkommt.

Die Kameraden und Protagonisten des Leichenzuges warten schon bei der Geyer-Rosa in der "Hof-Baderei" auf ihn. Der Friseursalon des legendären Kaisers "Bo-Da-Washi" ist immer noch ihr Treffpunkt. Dort wird erst mal Brotzeit gemacht, dann lassen sie sich weiß schminken, ziehen weiße Gewänder an und legen schon mal den Sarg bereit. "Am Anfang liegt da schon ein Lebendiger drin", verrät Erich Moser als einer aus dem Sechserteam, das hinter dem letzten lustig-originellen Aufflackern des Faschings steckt. Noch am Vortag waren sie mit vielen Zetteln und noch mehr Ideen im Kopf beisammen gesessen, um die Moritaten ihrer Mitbürger während des Jahres und vor allem während der letzten Faschingstage in Reimform zu bringen.

Ihr Leichenzug lebt von der Ur-Eigenschaft der ausgelassenen Narren-Tage, dem Derblecken und dem würzig-deftigen Offenbaren mancher Miss-geschicke. Mit den Reimen und Versen spicken sie in den letzten Faschingsstunden ihre Leichengebete und Fürbitten, ziehen mit großem Gefolge von Wirtshaus zu Wirtshaus und bekräftigen das Gesagte mit dem chinesisch-bayerischen Zwitterspruch "Tschewitschi Tscheng – so iss’s gscheng". Das Narrenvolk gießt darüber lauthals seine Schadenfreude aus oder zeigt aufrichtige Trauer.

Erich Moser spielt in dieser Litanei den Pfarrer und Stephan Baumer ist sein Kooperator. Sie können sich noch daran erinnern, wie sie als Buben einst aus den Fenstern schielten und dem Leichenzug zusahen. Damals hatten ihre Väter die Aufgaben, die sie nun fortführen.

"Der Chinesenumzug am Donnerstag ist zwar immer der glanzvolle Höhepunkt, aber am Dienstag sind wir Dietfurter zum Großteil noch unter uns und darauf freuen sich viele. Der Kehraus beschert uns noch mal ein richtiges gemeinsames Faschingstreiben", beschreibt Moser diese fesselnde Faszination.

Die Säle in den Wirtshäusern sind brechend voll, wenn der Trauerzug eintrifft und zum Schluss sind es zahllose Trauergäste, die dem Holzsarg nach zur Scheippl-Brücke ziehen. Dort geben sie dem Fasching um 23.30 Uhr das letzte Geleit bis zum Stadtplatz, wo dann eine Puppe aus dem Holzsarg genommen und zum Chinesenbrunnen geführt wird. Letzte Ansprachen preisen den Fasching, herzzerreißende Schluchzer bereiten das Ende vor. Kaiser- und Chinesenlieder werden noch einmal gesungen und dann geht der Fasching in helles Licht und Rauch und Asche auf. Die Trauergäste trotten zurück in die Gasthäuser, wo Bratheringe und Matjesfilets schon aufgedeckt sind. Die Buße kommt über sie und am Aschermittwoch wartet das Aschekreuz.