Solnhofen
"Da wird mein Lebenswerk zerstört..."

Kulturgutschutzgesetz lässt Fossilien aus Solnhofen abwandern – Jura-Museum bleibt verschont

10.12.2015 | Stand 02.12.2020, 20:26 Uhr

Ein schwerer Schritt: Solnhofens Bürgermeister Manfred Schneider selbst und ein Mitarbeiter des Bauhofs hängen die Fossilien, die dem Museum als Leihgabe zur Verfügung gestellt werden ab. Der große Rochen ist nicht die einzige schmerzhafte Lücke, die dadurch in den Schauwänden entsteht - Fotos: Leykamm

Solnhofen/Eichstätt (EK) Fassungslosigkeit in Solnhofen, entspanntes Zurücklehnen in Eichstätt: Unterschiedlicher könnten die Reaktionen auf das geplante Kulturgutschutzgesetz nicht sein. Während das Jura-Museum verschont bleibt, wandern hochkarätige Exponate aus Solnhofen ab.

Als wissenschaftlicher Leiter der Solnhofener Einrichtung mag Martin Röper gar nicht hinsehen, als Bürgermeister Manfred Schneider selbst samt einigen Bauhofmitarbeitern einen fossilen Riesenrochen der Sonderklasse von der Wand abmontiert. Schon beim Betreten des Gebäudes traut der Besucher seinen Augen nicht. Denn der Blick fällt direkt auf einen großen, einen sehr großen Fleck an der Wand am erleuchteten Gangende. Hier hing vor Kurzem noch ein imposanter Meeressaurier. Auch der beliebte Quastenflosser ist schon weg. Er gilt als eines der besten Beispiele für ein „lebendes Fossil“, also für eine Art, die sich über eine lange Phase der Erdgeschichte kaum verändert hat.

Und dann gibt es da noch das „Drama der Urzeit“ – die steinerne Momentaufnahme zeigt einen Schnabelfisch in dem Augenblick, in dem er sich seine Beute schnappt, die gerade selbst solche macht. Auch dieses Exponat wandert heuer noch ab, ebenso wie ein Flugsaurier. Den elften Urvogel indes gelang es hierzubehalten. Ein kleiner Erfolg, über den sich Röper angesichts dessen, was seiner Einrichtung durch das Kulturgutschutzgesetz, über das der Bundestag am Freitag in einer Woche abstimmt, noch droht, nur gequält freuen kann. „Da wird mein Lebenswerk zerstört...“, sagt er schwer getroffen, während 150 Millionen Jahre Erdgeschichte sanft auf dem Tisch landen, um zum Abtransport vorbereitet zu werden.

Keine 20 Kilometer entfernt sieht man die Lage wesentlich gelassener. Die Leiterin des Jura-Museums auf der Eichstätter Willibaldsburg, Martina Kölbl-Ebert, muss kein Abwandern der dortigen Exponate befürchten. Aus einfachem Grund: In jener Einrichtung befinden sich nahezu keine Leihgaben. Und so ist die Chefin eigentlich im Gegenteil eher erfreut und hält es „für begrüßenswert, dass wir nun eine Art Fossilienschutzgesetz bekommen.“

Die befürchteten Probleme seien „durchaus real“, zeigt sie Verständnis für weniger in diesem Sinn privilegierte Häuser. Sie setzt aber darauf, dass gewichtige Änderungen noch Einzug in das Gesetzesvorhaben finden. Falls dies nicht geschieht, sieht Röper pechschwarz für die Zukunft. Die Löcher, die die Novelle schon jetzt in die Wände reißt, könnten in absehbarer Zeit die gesamte Welt der Paläontologie und weite Teile der Gesellschaft erfassen. Das Vorhaben sei „ein ganz großer Rundumschlag“ – was vor allem daran liege, dass per Gesetz alles von wissenschaftlichem Wert zum Kulturgut erhoben werde. Für das Rembrandt-Gemälde sollen damit die gleichen Regeln gelten wie für Versteinerungen oder Mineralien – und letztlich auch Münz- oder Briefmarkensammlungen. Wenn sich solches dann auch noch in einem Museum befindet, wird es gar zum „Nationalen Kulturgut“ erklärt. Verschärfte Bestimmungen vor allem die Einfuhr betreffend sind die Folge. Was erklärt, warum die Einrichtungen derzeit dabei sind, gerade ihre wertvollste Exponate zu verlieren – in Länder, in denen es eine eindeutige Rechtslage gibt. Wie zum Beispiel Österreich.

Im Nachbarland schafft man es, die EU-Vorgaben in ein Gesetz mit sieben Seiten zu packen, das die Wissenschaftler ruhig schlafen lässt. In Deutschland umfasst der aktuelle Regierungsentwurf 156 Seiten. Das Kabinett hat er schon passiert. Obwohl „keiner weiß, was er da eigentlich unterschreibt“, rügt Röper das Mammutwerk. Zu wenig eindeutig seien die Begriffe definiert, zu sehr die verschiedenen Wissenschaften miteinander vermengt, moniert auch Kölbl-Ebert.

Doch sieht sie auch einen Lichtblick. In der ersten Version sei sogar das Präparieren von Fossilien nicht so ohne weiteres möglich gewesen, da diese nicht hätten verändert werden dürfen – genauso wenig wie Bilderserien von Picasso. Da habe man wohl vergessen, dass man mit den wertvollen Gesteinsfunden „auch forschen können muss, wir haben sie nicht im Regal liegen, um sie abzustauben“. Das Problem liege darin, dass an naturwissenschaftliche Sammlungen zunächst einfach nicht gedacht worden sei. Trotzdem sind sie nach wie vor vom Gesetz betroffen. Eigentlich sei sogar schon das noch im Boden befindliche Fossil nun plötzlich „Kulturgut“, der Gesteinsabbau müsste dann ja demnach sofort verboten werden, macht Röper deutlich.

Dem Fass den Boden schlage aber die Forderung aus, dass all jene, die Kulturgut verkaufen oder einführen, dessen Herkunft belegen müssen – und zwar rückwirkend bis 1992. Gelingt dies nicht, gilt es als illegal, was eine Umkehr der Beweislast darstelle. 50 Millionen Objekte in den naturwissenschaftlichen Sammlungen Deutschlands machen deutlich, was hier losgetreten werden könnte. Den üblichen wissenschaftlichen Leihverkehr unbürokratisch und rechtssicher zu bewerkstelligen werde da ein Ding der Unmöglichkeit. Stattdessen „wird man auf Provinzebene zurückgeworfen“. Röpers knappes Fazit: „Das Gesetz so wie es derzeit ist, ist nicht umsetzbar.“ Die vielen Sammler würden nun kriminalisiert statt geehrt.