Ingolstadt
"Sie müssen doch so ein Schlamassel verhindern!"

Neun Monate Haft auf Bewährung für Hausverwalterin, die regelmäßig Geld veruntreute und dann wieder zurückzahlte

04.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

Ingolstadt (DK) Sie habe das ihr anvertraute Konto für private Transaktionen benutzt, um finanziell den Überblick zu behalten, erklärte die angeklagte, ehemalige Hausverwalterin gestern vor dem Schöffengericht am Amtsgericht.

Doch das misslang der 62-jährigen Ingolstädterin so gründlich, dass Richter Christian Veh ziemlich viele kernige Begriffe aus der Wortfamilie "Chaos" bemühte: "Kuddelmuddel", "Schlamperei", "Schlamassel", gepaart mit "Unfähigkeit", "völligem Missverstehen", "Naivität" bis hin zu "Dummheit". Es ist also einiges zusammengekommen. Die Rentnerin, der Untreue vorgeworfen wurde, hatte sich in der Tat ziemlich blöd angestellt, wie die Beweisaufnahme ergab. Es entstand aber kein finanzieller Schaden, weil sie das veruntreute Geld regelmäßig wieder zurückzahlte.

Deshalb warf Veh der Frau - bei aller Betonung ihrer Inkompetenz - etwas Entscheidendes nicht vor: kriminelle Energie und den Vorsatz, jemanden schädigen zu wollen. Sie sah alle Fehler ein und war mit ihrer Strafe - neun Monate auf Bewährung - wirklich gut bedient, wie Veh in seiner Urteilsbegründung betonte.

Die Frau hatte gemeinsam mit einer anderen Ingolstädterin eine Wohneigentümergemeinschaft gebildet, für die sie zugleich als Hausverwalterin tätig war. 410 Euro im Monat zahlten beide zusammen auf ein Wohneigentümerkonto (WEG-Konto) ein (für Stadtwerke etc.) weitere 80 Euro pro Monat auf ein Rücklagenkonto. Zwischen 2008 und 2014 benutzte die Angeklagte beide Konten wie ein privates Girokonto, so die Anklage. Das bestätigte Verteidiger Fritz Habicher im Namen seiner Mandantin. Sie wickelte über das WEG- und das Rücklagenkonto für Bekannte Sammelbestellungen bei zwei Versandhäusern ab, buchte das ihr anvertraute Geld unbefangen hin und her, zum Monatsende glich sie die Konten aber immer wieder aus, zahlte alles zurück. Staatsanwältin Sandra von Lucadou warf der ehemaligen Hausverwalterin 717 Fälle von Untreue vor. Es geht insgesamt um 6000 Euro auf dem Rücklagenkonto und 3900 Euro auf dem WEG-Konto. Der Vorsitzende Richter legte bei der rechtlichen Würdigung jedoch zugrunde, im gesamten Tatzeitraum jeden Monat einzeln als Untreuehandlung zu werten, Veh beschränkte das Verfahren damit auf 75 Fälle von Untreue, sparte aber nicht mit Tadel für die Angeklagte: "Des geht doch nicht! Des ist doch nicht ihr Geld! Auch wenn Sie nie jemanden schädigen wollten, Sie müssen doch so ein Schlamassel verhindern! Das sagt einem doch der gesunde Menschenverstand!" "Ich habe keinen gesunden Menschenverstand", antwortete die emotional stark aufgewühlte Angeklagte ganz leise. "Ach freilich!", erwiderte Veh. "Natürlich haben Sie den!"

Die Staatsanwältin stellte bei der Frau ebenfalls "keine kriminelle Energie" fest, erkannte allerdings eine "gewerbsmäßige Untreue", auch wegen der Regelmäßigkeit, mit der sie finanzielle Vorteile erlangt habe. Sandra von Lucadou forderte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung.

Verteidiger Fritz Habicher brachte es bei der Kritik an seiner Mandantin durchaus auf Vehsches Niveau: "Chaos hoch drei!" habe sie angerichtet, "dümmer kann man sich nicht anstellen", sagte der Anwalt, jedoch: Gewerbsmäßige Untreue sei das nicht gewesen. Die Angeklagte - nicht vorbestraft, voll einsichtig und reumütig - habe "nie gewollt, dass ein Schaden entsteht". Das wusste Richter Veh am Ende zu würdigen. Er verhängte eine Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung. In seiner Urteilsbegründung hob er noch einmal hervor, dass sich die Frau "nicht mit fremdem Geld ein schönes Leben gemacht hat", wohl aber "aus Unfähigkeit" heraus "Vermögen gefährdet hat".

Zuvor hatte Veh noch von der 62-Jährigen wissen wollen, warum sie eigentlich kein eigenes Girokonto für ihre Versandhauseinkäufe eingerichtet habe. Antwort: Weil sie den Überblick behalten wollte. Das war - was sie jetzt amtlich bescheinigt hat - gar keine gute Idee.