Ämari
Katz und Maus über der Ostsee

"Eurofighter" aus Neuburg überwachen derzeit den Luftraum über dem Baltikum. Das ist keine Routine-Aufgabe, denn russische Flugzeuge provozieren immer wieder Alarmstarts. Ein Besuch bei den Soldaten in Estland.

12.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:55 Uhr

Foto: Timmig/Luftwaffe

Ämari (DK) "Eurofighter" aus Neuburg überwachen derzeit den Luftraum über dem Baltikum. Das ist keine Routine-Aufgabe, denn russische Flugzeuge provozieren immer wieder Alarmstarts. Ein Besuch bei den Soldaten in Estland.

13.57 Uhr. Grell schrillt die Sirene. Oberstleutnant Johannes Durand springt in seinen Pilotenanzug und rennt aus dem Bereitschaftsraum zum "Eurofighter" im Hangar nebenan. Fünf Minuten nach dem Alarm rollt der Abfangjäger auf die Startbahn des Luftwaffenstützpunkts Ämari. Mit ohrenbetäubendem Donnern schießt der Jet in den kalten Himmel über dem Nordosten Estlands, dicht gefolgt von einem zweiten. Sie legen sich scharf in die Kurve, sind nach wenigen Sekunden im Gegenlicht verschwunden, um ein unbekanntes russisches Flugzeug auf dem Weg von St. Petersburg in die russische Exklave Kaliningrad aufzuspüren.

Gestern war es nur ein Übungsflug, aber erst am Mittwoch war der Ernstfall eingetreten: Der russische SU-27 "Flanker" kommt in den Blick, bis auf 100 Meter nähern sich die deutschen "Eurofighter". Blickkontakt der Piloten, militärische Grüße, man fotografiert sich gegenseitig - mit einer Handkamera durchs Fenster. Schließlich schaltet der russische Pilot den Transponder an, identifiziert sich, die deutschen Jäger drehen ab, fliegen zurück zur Basis nahe der Hauptstadt Tallinn. "Top Gun" über der Ostsee.

Truppenbesuch mit Luftwaffeninspekteur Karl Müllner bei der Alarmrotte aus Neuburg an der Donau, die ab dem 5. Januar von den Kollegen aus Wittmund abgelöst wird. 180 Soldatinnen und Soldaten sind in Ämari stationiert, bilden das Kontingent für das sogenannte "Air Policing", die militärische Luftraumüberwachung, die die Nato nun schon zwölf Jahre für die Balten leistet. Wegen der Ukraine-Krise 2014 hat die Nato die Überwachung hochgefahren, die Deutschen haben die Aufgabe seitdem schon drei Mal übernommen.

"Seit September haben wir 28 ,Alpha-Scrambles' absolviert, Alarm-Starts, wenn das Militärradar ein nicht identifiziertes Flugzeug ortet", berichtet Kontingentführer Durand, 36 Jahre alt, kurz bevor er zum Übungsflug startet. In der "Nacht der langen Messer" vom 6. auf den 7. Oktober waren es gleich sechs Vorfälle - dann stoßen die Neuburger mit ihren insgesamt fünf "Eurofighter"-Jets an ihre Kapazitätsgrenzen.

Jaak Tarien, Chef der estnischen Luftwaffe, nennt das "Air Policing" eine "Lebensversicherung gegen die russische Provokation", ist den Deutschen "extrem dankbar", dass sie als Nato-Partner die Aufgabe übernehmen. Die estnische Luftwaffe habe gerade mal 430 Mann, berichtet der Oberst im eisigen Nordwind auf dem Luftwaffenstützpunkt Ämari, einem Relikt aus der Sowjetzeit.

Die Esten verfügen selbst über keine Kampfjets. Und seit Wladimir Putin die Krim annektierte, die Rebellion in der Ost-Ukraine unterstützte, haben die Balten Angst, Putins nächstes Opfer zu werden. "Im März 2014 haben mich meine Familienmitglieder gefragt, ob wir nach Schweden auswandern müssen", sagt Tarien. "Dank der verstärkten Nato-Unterstützung sind die Menschen wieder etwas beruhigt. Wir wissen, dass Putin nicht angreift, solange die Nato geschlossen zusammensteht. Ist die Allianz gespalten, würde er es versuchen." Dass der nächste US-Präsident Donald Trump die Bündnissolidarität infrage stellte, sorgt in Estland für Unruhe.

Am frühen Morgen im Global 5000-Jet von Luftwaffeninspekteur Müllner, im Landeanflug auf Ämari. Am Boden zugefrorene Seen, mit Schnee überstäubte Wälder. Es sei wichtig, gegen die russische Provokation "Flagge zu zeigen", sagt der Generalleutnant. "Putin testet aus, wie glaubwürdig die Nato ist." Die Provokation besteht darin, dass die russischen Militärjets im engen Luftraumkorridor zwischen Finnland und Estland auf dem Weg von St. Petersburg nach Kaliningrad, der westlichen Drehscheibe für Russlands Luftwaffe, auf Tauchstation gehen. Sie schalten ihre Transponder aus, spezielle Funksender, mit denen sie sich den internationalen Luftfahrtregeln zufolge zu erkennen geben müssen.

Das ist ein Sicherheitsrisiko für den zivilen Luftverkehr, der in denselben Höhen unterwegs ist. Vor allem aber reizt Putin damit die Nato. Und die lässt sich reizen, nutzt das "Air Policing" auch, um ihre eigenen Muskeln zu zeigen - wie in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober, als die "Eurofighter" in Ämari im Stundentakt in den schwarzen Himmel schossen: "Wir haben ihnen gezeigt, dass wir mitziehen können", sagt ein Militärvertreter.

Zehn Minuten vor der Landung von Müllners Jet schweben zwei "Eurofighter" heran, flankieren die Global 5000 von beiden Seiten. Begrüßung durch die Alarmrotte von der Donau. Die Piloten in ihren Kanzeln sind klar zu erkennen, die grauen Helme, die schwarzen Visiere. Und die scharfen Waffen: zwei infrarotgesteuerte IRIS-T-Kurzstreckenraketen und zwei radargesteuerte AMRAAM-Raketen hängen am Rumpf. Eingesetzt werden dürfen sie nur, wenn die "Eurofighter" selbst angegriffen werden. Rückkehr in die Ost-West-Eiszeit im Baltikum. Die Nato stockt zusätzlich auch ihre Präsenz am Boden auf. Drei Bataillone werden im kommenden Jahr in den drei baltischen Ländern stationiert. Das in Litauen wird die Bundeswehr führen.

Doch jetzt rückt auch für die deutschen Soldatinnen und Soldaten in Ämari erst mal Weihnachten in den Fokus. Die Obergefreite Alexandra Wienhold, 20 Jahre alt, freut sich, mit ihren Kameraden hoch oben im Norden und fern der Heimat zu feiern. Sie sitzt im Büro des Stabführers. Eine dürre Tanne mit ein paar bunten Kugeln soll für gemütliche Stimmung in der Baracke sorgen, Wärme spendet ein Elektroheizer.

An Heiligabend wird in einem Hotel in Tallinn gefeiert. "Ich bin mal sehr gespannt", sagt Wienhold. Höhepunkt wird eine Tombola. Der FC Bayern und der FC Ingolstadt haben Überraschungen geschickt, damit die Truppe nicht leer ausgeht. Bleibt zu hoffen, dass es keine neue "Nacht der langen Messer" gibt.