Eichstätt
"Erwarte immer das Unerwartete!"

20.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:47 Uhr

Foto: DK

Seit über 60 Jahren hat das Bistum Eichstätt eine Partnerschaft mit der Diözese Poona in Indien. Der Weltkirchereferent Gerhard Rott, der schon oft dort war, erzählt von Projekten, Veränderungen und seinen Eindrücken.

Herr Rott, was sind die wichtigsten Gründe für den Beginn der Partnerschaft mit Poona?

Gerhard Rott: Die Beziehung zur Diözese Poona in Indien besteht seit 1955. Damals war es eine Verbindung des aus dem Bistum Eichstätt stammenden Missionars Pius Geisel mit dem Eichstätter Bischof Joseph Schröffer, beide waren Klassenkameraden im Kleinen Seminar.

Pius Geisel ging über die Jesuiten in die Mission nach Indien, er war dort Generalvikar des Bistums Poona zu der Zeit, als die Leitung der Diözesen an einheimische indische Kräfte übergeben wurde. So hat er den ersten indischen Bischof der Diözese Poona, Andrew D'Souza, auf seinem Ad-limina-Besuch nach Rom begleitet. Von Indien aus betrachtet ist der Weg von Rom nach Eichstätt - obwohl die Alpen dazwischen sind - ein Katzensprung, und so sind sie hierher nach Eichstätt gekommen.

Bischof Schröffer hat dann entschieden, sich dafür starkzumachen, dass es eine Unterstützung aus dem Bistum Eichstätt für das Bistum Poona gibt.

 

Heute spricht man nicht mehr von einer Patenschaft, sondern Partnerschaft. Was bedeutet das?

Rott: Schon zum 40-jährigen Jubiläum haben wir eine Broschüre herausgegeben, die "Von Patenschaft zu Partnerschaft" hieß. Das ist für uns bis heute eigentlich der wichtigste Meilenstein in der Entwicklung. Im Indischen gibt es diese Begriffe so nicht, man sprach da von einer Adoption der Diözese - quasi so ein bisschen wie "Wir, die reichen Europäer, unterstützen finanziell den Aufbau der Kirche in Asien". Heute wissen wir, dass zu einer wirklichen Partnerschaft ein Dialog auf Augenhöhe gehört. Es ist ein Geben und Nehmen.

 

Was heißt Geben und Nehmen genau?

Rott: Wir waren erst im Januar in Poona, um dort von den Indern wieder etwas mehr zu lernen. Wie man zum Beispiel pastoral auch in ganz anderen Dimensionen denken kann, wie man unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gestalten und strukturieren kann.

Das war ja früher auch der Fehler der klassischen Mission und Patenschaft, dass man gemeint hat, das deutsche Modell nach Afrika oder Asien zu übertragen. Es geht darum, im jeweiligen kulturellen Kontext eigenständige Entwicklungen vorzunehmen. Trotzdem können wir aber grundlegende Ideen und Anregungen wie mehr Partizipation, kleinere Gemeinschaften, ein größeres Kennen der Gemeindemitglieder untereinander oder eine andere Form der Kirchenmusik übernehmen. Es geht nicht um Kopien, es geht um Inspirationen.

 

Wie äußert sich die Partnerschaft konkret?

Rott: Eine klassische Bistumspartnerschaft hat drei Ebenen. Dazu gehört die Gebetsgemeinschaft. Da haben wir jedes Jahr am St. Patrick's Day, 17. März, ein gemeinsames Partnerschaftsgebet, das wir hier in Deutschland und in Poona füreinander sprechen - auch online in soziale Medien übertragen, für alle Gläubigen zugänglich.

Außerdem haben wir ein bis zwei Priester aus der Partnerdiözese, die hier tätig sind und unsere Pastoral unterstützen. Dann gibt es die Ebene der Kommunikation und des Voneinander-Lernens. Dazu gehört der Austausch pastoraler Konzepte oder der unterschiedlichen Sozialarbeitsstrukturen. Die dritte Ebene ist die praktische Solidarität, wobei konkrete Projekte unterstützt werden. Auch da ist es schon ein Lernen voneinander, weil zum Beispiel Studentinnen der Katholischen Universität in solchen Projekten ihr Praktikum machen. Sie durchlaufen einen Teil ihrer Ausbildung in Indien und bringen Ansätze von dort bei uns in die Arbeit ein.

 

In Eichstätt werden immer wieder Spenden für Poona gesammelt. Welche Veränderungen gibt es da?

Rott: Die wichtigste Verbindung war über viele Jahre durch die Sternsinger gegeben. Seit 2011 geht das Geld aus dem Bistum Eichstätt, wie aus allen anderen deutschen Diözesen, zu 100 Prozent an das Kindermissionswerk in Aachen. Das Partnerbistum Poona kann dort Projekte vorlegen, die dann von den Sach- und Fachkräften in Aachen geprüft und von den entsprechenden Gremien bewilligt werden müssen. 50 Prozent des im Bistum Eichstätt von den Sternsingern gesammelten Geldes ist dort besonders für Projekte aus Poona reserviert. Von Eichstätter Seite besteht seitdem in diesem Bereich keinerlei Projektverantwortung mehr.

 

Ist dieses Geld als Anschubfinanzierung gedacht, um Projekte anzutreiben?

Rott: Mit dem Sternsinger-Geld können nur Kinderprojekte finanziert werden. Wir haben daneben auch Privatspender, die aus dem Bistum Eichstätt heraus für andere Projekte in Poona Geld sammeln - zum Beispiel einen Arzt in Nürnberg, der für medizinische und Frauen-Empowerment-Projekte spendet. Die Projekte, die über das Kindermissionswerk finanziert werden, sind im Regelfall Anschubfinanzierungen beziehungsweise werden nicht in eine Dauerförderung überführt. Es ist ja auch ganz wichtig, dass die Projekte nach einer gewissen Zeit finanziell selbstständig und nicht auf Dauer von uns abhängig sind.

 

Wie oft waren Sie schon in Poona?

Rott: Ich war in den letzten 20 Jahren schon zehnmal in Poona. So in etwa alle zwei Jahre bin ich dort.

 

Wie würden Sie Poona mit drei Worten für jemanden beschreiben, der noch nicht dort war?

Rott: Ganz anders - hinfahren! Es ist schwierig, weil das Land völlig anders ist. Selbst die Farbenlehre, die für uns logisch erscheint, stimmt dort so nicht. Weiß ist in Indien die Farbe der Trauer. Die Hindus verstehen nicht, wenn eine Braut oder Kommunionkinder Weiß tragen, wenn es doch eigentlich ein Fest ist.

Alles ist anders, das kann man so wirklich als Umschreibung sagen. Es fängt bei der viel herzlicheren Willkommenskultur an, dem völlig anderen Straßenverkehr oder der Geschwindigkeit, wenn man zum Beispiel Geld wechseln möchte. Das kann eine Ewigkeit dauern, bis die passenden Münzen und Scheine da sind.

Erwarte immer das Unerwartete!

 

Was hat Sie dort beeindruckt und ist in Erinnerung geblieben?

Rott: Für mich war sehr beeindruckend, auch bei dieser Reise wieder, wie sehr wir Europäer berührt sind von der Gastfreundlichkeit der Inder. Ich glaube, wenn wir mit Blumen, Tänzen und Weihrauch begrüßt werden, dann merken wir erst, wie kalt bei uns eine Begrüßung ist. Wenn wir bei einem Festvortrag jemanden begrüßen: zwei Worte zum Leben, Applaus und das war's.

Ich sehe quasi aus der Beobachtung von anderen Europäern, die das erste Mal dort sind, wie groß die Unterschiede sind. Für mich selbst ist es nicht mehr überraschend.

 

Wie haben Sie die Entwicklung vor Ort in den letzten Jahren erlebt?

Rott: Es hat sich extrem viel entwickelt. Da ist unter anderem die Alltagskultur, die immer mehr verwestlicht. In Indien, dem Land des Tees, gibt es mittlerweile auch Baristas und Espresso. Es gibt in einem der traditionellsten indischen Lokale italienische Steinofenpizza. In der Stadt ist immer mehr eine Angleichung an die Welteinheitskultursuppe festzustellen. Auf dem Land sehe ich, dass es wirklich positive Fortschritte gibt - für viele ganz einfache Menschen. Ich habe in den vergangenen Jahren so viele Traktoren wie noch nie auf den Feldern gesehen. Es ist natürlich zu hinterfragen, ob sich auch die ärmeren Bauern das leisten können, aber ein gewisser maschineller Einsatz ist mit Sicherheit zu befürworten.

 

Im Bezug auf die Projekte, welche Veränderungen und Entwicklungen gibt es dort?

Rott: Der Bau von Schulen war lange Zeit ein Schwerpunkt, und das ist nach wie vor für die Kirche in Indien ein ganz, ganz wichtiger Ansatzpunkt. An diesen Schulen sind 80 bis 90 Prozent eben keine christlichen Kinder, sondern Hindus und Muslime. Das ist für die indische Kirche ein wichtiger Beleg dafür, dass sie für die Gesellschaft und nicht nur für sich selbst tätig ist. Sie tut das nicht für die kleine Gruppe der Christen, sondern für die Gesamtheit. Das kann das Zusammen- oder Überleben der Christen in Indien wesentlich mitgestalten, weil auch die Gesellschaft von Hindus, die immer radikaler wird, wahrnimmt, die Christen tun etwas für unsere Kinder und nicht nur für ihre eigenen.

 

Wie geht es den Christen in Indien?

Rott: Indien ist ein so großes Land mit einer Flächenausdehnung, die fast nur mit Europa zu vergleichen ist, da kann man kein Pauschalurteil über das Christentum fällen. In Südindien hat es eine viel längere Tradition, in Goa (Westen) ist es ganz anders als in Nordindien. Ich würde es mir, als jemand, der ein bisschen Hintergrund hat, verbieten, so pauschal über die Christen in Indien zu sprechen.

 

Wie soll die Partnerschaft künftig weitergehen? Gibt es Pläne oder weitere Projekte?

Rott: Wir entwickeln die Projekte nicht hier in Eichstätt, das ist Aufgabe der Verantwortlichen in Poona. Die Fachleute dort wissen, was sie für ihr Land brauchen und müssen uns Projekte vorschlagen beziehungsweise sich bei Kinderprojekten an das Kindermissionswerk in Aachen wenden.

Ich glaube, dass nach wie vor der wichtigste Schlüssel die Begegnungen der Menschen und nicht die einzelnen Projekte sind. Ich nenne das die Globalisierung der Menschlichkeit, dass wir wirklich wissen, wir haben Partner in einem ganz anderen Teil der Welt, und dass wir an ihren Lebenserfahrungen partizipieren können. Eine Vision ist zum Beispiel wieder einmal der Besuch von jungen Leuten aus unserem Bistum bei jungen Leuten in Poona, wie 2004/2005 zum Weltjugendtag. Es gibt auch die Überlegung, Freiwillige für ein Jahr nach Poona zu schicken, die dort in verschiedenen sozialen Projekten arbeiten und dann zurückkommen, um bei uns in den Gemeinden und Verbänden darüber zu berichten.

Es geht nicht mehr so sehr um die steinernen Projekte, sondern um die großen Projekte der Menschlichkeit - wo sich Menschen begegnen und wo Menschen andere Kulturen kennenlernen.

 

Braucht Poona immer noch Unterstützung, ist das nach wie vor wichtig?

Rott: Es ist für mich eigentlich erschreckend. Indien ist ein Hightech-Land, es gibt superreiche Inder, eine weltweit führende Computerszene und gleichzeitig sind dort - da streiten sich Experten und Statistiken sind sehr unpräzise - vielleicht 350 bis 400 Millionen Menschen in äußerst prekären Lebensverhältnissen.

Und ja, diesen Menschen müssen wir helfen. Das ist eben auch die Kunst, die Projekte und den Austausch so weiterzuentwickeln, dass auch der Großteil der indischen Gesellschaft ein Gespür dafür bekommt, selbst Verantwortung für sein Land zu haben.