Altmannstein
Die Angst und der Wolf

150 Jahre war er ausgerottet. Seit einigen Jahren ist er zurück in seiner alten Heimat: der Wolf

17.05.2019 | Stand 02.12.2020, 13:57 Uhr
Besorgt um seine Schafe ist der Altmannsteiner Schäfer Heinrich Neumaier. Er befürchtet, dass der Wolf auch bald seinen Weg in die Marktgemeinde findet. −Foto: Schmeizl, Schneider

Altmannstein (DK) Auch in Bayern. Neben der Freude über die Rückkehr des Raubtieres gibt es aber ebenso Skepsis und Verunsicherung, gerade unter den Nutztierhaltern. Auch der Altmannsteiner Schäfer Heinrich Neumaier hat Angst. Aber: Was ist dran am Märchen vom bösen Wolf?

Altmannstein (DK)  Schäfchen zählen gilt als bewährte Einschlafhilfe. Ob  diese Methode auch Schäfer  Heinrich Neumaier  ins Land der Träume gleiten lässt? Wohl nicht. Die Sorge um seine Schafe ist es, die ihn wach hält.   "Wenn ich abends die Weide verlasse und nach Hause fahre,  habe ich kein gutes Gefühl", erzählt der 58-Jährige. Sein Gedanke bevor er ins Bett geht:  Hoffentlich passiert nichts.

Statt Schäfchen zu zählen, geistert ihm ein Tier durch den Kopf: der Wolf. Und dazu die Bilder der gerissenen Schafe, die immer wieder durch die Medien gehen. Bisher ist der Altmannsteiner Schäfer vor dem Wolf verschont geblieben. "Das kann sich ändern. Er kann auch jederzeit hier auftauchen", sagt Neumaier.

Das bestätigt   Willi Reinbold (kleines Foto). Er ist Wolfsbeauftragter beim Landesbund für Vogelschutz (LBV) für Bayern. Dass das Raubtier  irgendwann seinen Weg auch in die Marktgemeinde findet, hält er für möglich: "Der Wolf hat hier alles, was er zum Leben braucht:  Futter, Schlafplätze und das Gefühl, nicht gestört zu werden."  Für den Wolfs-Experten ist das aber kein Grund, in Panik zu verfallen - auch wenn er die  Sorgen und Ängste der Schäfer nachvollziehen kann. Er betont aber: "Kein Schafhalter braucht schlaflose Nächte zu haben, wenn er die richtigen Herdenschutzmaßnahmen ergreift." Dazu gehören: ein mindestens 90 Zentimeter hoher Elektrozaun  und ein geprüfter Herdenschutzhund, je nach Anzahl der Nutztiere seien auch mehrere Hunde sinnvoll. Einen Elektrozaun hat Neumaier. Durch den jagt er 6000 Volt - also mehr als genug. Um den Wolf fernzuhalten, sind laut Reinbold mindestens 2000 Volt erforderlich.

Einen Herdenschutzhund hält der Altmannsteiner Schäfer nicht. "Wir leben in einer Urlaubsregion.  Hier sind so viele Wanderer, Spaziergänger und Radlfahrer unterwegs - ein Herdenschutzhund würde dauernd Alarm schlagen und wäre eine Gefahr für die Menschen", gibt Neumaier zu bedenken. Dieses Argument will Reinbold nicht zählen lassen: Er hat in Europa und Deutschland schon vielen Schäfern über die Schulter geschaut. Erst vor Kurzem sei er in der Lüneburger Heide gewesen und hat Schafhalter besucht, die mitten in einem Wolfsrudelgebiet leben - "und zwar ohne Probleme", wie Reinbold sagt. Das Zusammenleben funktioniere dank mehrerer Herdenschutzhunde. Aggressiv gegenüber Menschen sei hier keiner gewesen und das, obwohl der LBV-Beauftragte mitten in der Schafsherde stand. "Das funktioniert, weil die Hunde speziell ausgebildet und geprüft sind", berichtet Reinbold weiter.

Sich einen Herdenschutzhund zuzulegen, geht ins Geld. Laut Reinbold kostet ein ausgebildeter Hund rund 3000 Euro, dazu kommen noch circa 1200 Euro Unterhaltskosten im Jahr - eine Summe, die nicht für jeden Nutztierhalter zu stemmen ist. Reinbold nimmt da die Politik in die Pflicht: "Der Landesbund für Vogelschutz fordert, dass diese Kosten die Allgemeinheit tragen sollte, sprich der Steuerzahler. Es geht nicht, dass der Schäfer das von seinem Einkommen zahlen muss."

Apropos Politik: Von der fühlen sich Neumaier und andere Schäfer aus der Region im Stich gelassen, auch wenn im März der Aktionsplan Wolf von der bayerischen Staatsregierung vorgestellt wurde - nach den Worten von  Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein "Beitrag zur Versöhnung im ländlichen Raum".  Das Papier sieht vor, dass Wölfe künftig in Ausnahmefällen zum Schutz von Weidetieren abgeschossen werden können.

Mit dem Ziel zu versöhnen - die Wolfsgegner und -befürworter - ist die bayerische Staatsregierung aber gescheitert. Weder Nutztierhalter noch Naturschützer sind glücklich mit dem Papier. Naturschützer beklagen, der Abschuss der eigentlich streng geschützten Wölfe werde damit in Bayern deutlich erleichtert. Den Tierhaltern dagegen reicht der Aktionsplan zum Schutz ihrer Ziegen, Schafe und Rinder nicht aus.

Dem schließt sich auch der Altmannsteiner Schäfer an: "Da muss mehr passieren vonseiten der Politik." Mehr passieren - damit meint er: "Wir brauchen eine Wolfsobergrenze und  wolfsfreie Zonen."  Für Neumaier bedeutet das, den Wolf aus der Kulturlandschaft  zu verbannen und ihm in bestimmten  Naturschutzgebieten einen Lebensraum zu gewähren. "In dicht besiedelten Gegenden hat er einfach nichts zu suchen."

Von einer Wolfsobergrenze hält der LBV-Beauftragte Reinbold absolut nichts. Genauso wenig wie von wolfsfreien Zonen. "Der Wolf ist streng geschützt. Seit 150 Jahren hat es ihn nicht in Deutschland gegeben. Jetzt kehrt er zurück. Wir müssen lernen, mit ihm zu leben."

Mit ihm leben - für Schäfer Neumaier ist das derzeit undenkbar. Er ist nicht nur in Sorge um seine Schafe, sondern auch um die Menschen. "Der Wolf ist eine Gefährdung für die Allgemeinheit", klagt der 58-Jährige. Das will Reinbold so nicht stehen lassen. "Der Wolf ist kein Kuscheltier, das ist klar. Wir stehen aber nicht auf seiner Speisekarte." Seitdem die Tiere wieder in Deutschland unterwegs sind, hat es laut Reinbold nachweislich keinen Angriff auf einen Menschen gegeben. "Wir müssen aufhören mit den Märchen vom bösen Wolf", gibt der Wolfsbeauftragte zu bedenken.

Die Märchen sind für Neumaier jedoch längst Realität geworden - zu sehr haben sich die Bilder von gerissenen Schafen nach Wolfsattacken in sein Gedächtnis gebrannt. Wer mit dem Schäfer unterwegs ist, merkt, dass der Altmannsteiner für seine Tiere lebt. Sich selbst bezeichnet der 58-Jährige als "Schäfer mit Leib und Seele". Vor 35 Jahren habe er angefangen mit der Schafzucht - mit drei Lämmern, die er mit der Flasche großzog.  Aus den Dreien sind mittlerweile 200 Muttertiere geworden,  dazu 150 Lämmer.

Mit vielen Widrigkeiten hatte Neumaier schon zu kämpfen - zum Beispiel mit extremer Trockenheit  und Futterknappheit. Doch der Wolf stelle für den Altmannsteiner eine neue Dimension der Bedrohung dar - vor allem für seine Existenz: "Wir Schäfer wissen nicht mehr, was wir tun sollen. Wir haben Angst um unsere Tiere. Die Belastung für mich und die anderen ist enorm geworden, seitdem der Wolf zurück ist", erzählt  Neumaier.

Für manche sei die Belastung zu groß - sie hören auf. Ein Schritt, den auch der Altmannsteiner nachvollziehen kann. "Ich wollte eigentlich bis ich 70 bin Schafe hüten. Aber wenn das mit dem Wolf so weitergeht, wird daraus nichts", sagt er und blickt auf die Weide, die einem Tierkindergarten gleicht. Lämmchen überall.

Der Wolf. Er spaltet die Gesellschaft und löst emotionale Debatten aus -  zwischen den Naturschützern und den Weidetierhaltern. Und trotzdem bleibt die Frage: Wie umgehen mit dem Wolf in Bayern? Auch nach der Veröffentlichung des Aktionsplans Wolf ist das nicht geklärt. Genauso wenig, wo der nächste Wolf in Bayern herumstreift. Vielleicht bald in Altmannstein, wo er mehr als ein Jahrhundert ausgerottet war.