Pfaffenhofen
Belastendes Video gelöscht

11.06.2019 | Stand 25.10.2023, 10:33 Uhr

Pfaffenhofen (SZ) Was der Verfassungsschutz im Zuge des NSU-Prozesses kann, das schafft auch die Kölner Staatsanwaltschaft: Nämlich Ermittlungsunterlagen versehentlich vernichten.

Für einen 20-Jährigen, der sich vor dem Pfaffenhofener Schöffengericht verantworten sollte, hatte das positive Konsequenzen. Er durfte unbehelligt nach Hause gehen, das Gericht setzt das Verfahren gegen ihn aus.

Kevin M. (Name geändert) war wegen Raub und Körperverletzung angeklagt. Gemeinsam mit anderen Borussia-Fans war er vor einem Jahr auf der Heimreise von einem Spiel der Mönchengladbacher. In einem Fast-Food-Restaurant an der A9 traf die Gruppe auf einen vermeintlichen FC-Köln-Anhänger, der einen rot-weißen Fan-Schal umgebunden hatte. Das aber sind nicht nur die Farben des Fußballclubs, sondern auch die der Kölner Haie, des Eishockeyclubs. Doch diese Feinheit ist den Gladbacher Hooligans wohl entgangen. Laut Anklage prügelten und traten sie auf ihr Opfer ein und nahmen ihm den Schal weg.

Einer der Schläger ist bereits verurteilt worden, jetzt musste sich Kevin M. auch vor Gericht verantworten. Der 20-Jährige ist völlig entspannt. Sein Verteidiger hat sich verspätet, Kevin M. steckt pünktlich den Kopf in den Sitzungssaal und fragt freundlich: "Darf man schon reinkommen? " Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft ist gewichtig: Raub ist kein Pappenstiel, auch wenn es sich bloß um einen Schal von gerade mal zehn Euro Wert handelt. Der Paragraf 249 des Strafgesetzbuches macht da keine Abstufungen, sondern droht mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr. Erschwerend hinzu kommt die Körperverletzung.

Der drohenden Strafe entsprechend muss sich Kevin M. nicht vor einem Einzelrichter, sondern vor einem Schöffengericht verantworten. Aber er sitzt völlig entspannt vor seinen Richtern. Nein, sagt der Verteidiger, sein Mandant sei an der Schlägerei nicht beteiligt gewesen. Amtsrichter Ulrich Klose, der die Ermittlungsakten kennt, ist da anderer Meinung. Ohne ein Geständnis habe Kevin M. mit massiven Maßnahmen zu rechnen.

Kevin M. ist sichtlich unbeeindruckt. Er sei, als die Schlägerei im Gange war, auf der Toilette gewesen. Der Geschädigte, hakt Klose nach, "ist sicher, dass du dabei warst". Kann nicht sein, sagt Kevin, er sei von der Toilette gleich zu seinem Auto gegangen. Ihm das Gegenteil zu beweisen, wird schwierig sein. Denn tatsächlich steht die Anklage auf wackligen Füßen: Das Überwachungsvideo hat die Kölner Staatsanwaltschaft laut einer Aktennotiz versehentlich gelöscht. Und eine wichtige Zeugin ist sich auch nicht hundertprozentig sicher, ob Kevin M. tatsächlich mitgemischt hat. Amtsrichter Klose setzt das Verfahren vorläufig aus. Ob es eingestellt wird oder im großen Stil Zeugen nach Pfaffenhofen vorgeladen werden, wird sich zeigen.

Albert Herchenbach