München
Naturkatastrophen: Staatsregierung zahlt ab Juli nicht mehr

26.06.2019 | Stand 02.12.2020, 13:40 Uhr
Anwohner sitzen in der Innenstadt von Simbach am Inn zwischen Schlamm und Unrat auf der Straße. −Foto: Sven Hoppe/Archivbild

Jahrelang agierte die Staatsregierung als Ersatzversicherung und öffnete nach jeder Naturkatastrophe die Schatulle. Doch damit ist ab nächster Woche Schluss.

Auf Bürger und Gemeinden in Bayern kommt eine in Zeiten des Klimawandels bedeutende Rechtsänderung zu: Ab 1. Juli zahlt die Staatsregierung bei Naturkatastrophen keine Hilfen mehr - wer sich nicht versichert hat, muss künftig fürchten, auf dem Schaden sitzen zu bleiben. Denn die 2011 eingeführten Richtlinien für die Soforthilfen der Staatsregierung laufen am 30. Juni aus, wie in dem Dokument nachzulesen ist.

„Wie in anderen Lebensbereichen gelten auch beim Schutz gegen Elementargefahren die Grundsätze der Eigenverantwortung und Eigenvorsorge“, erklärte ein Sprecher des Finanzministeriums in München auf Anfrage. „Die Bayerische Staatsregierung fordert daher alle Bürgerinnen und Bürger in Bayern eindringlich dazu auf, den eigenen Versicherungsschutz gegen die zunehmenden Naturgefahren zu überprüfen und Immobilien und Hausrat umfassend zu versichern.“

Von 2010 bis Frühjahr 2018 zahlten die bayerischen Behörden insgesamt fast 900 Millionen Euro aus, wie aus der Antwort auf eine Grünen-Anfrage im Landtag zu entnehmen ist. Vor allem die unkalkulierbaren Kosten sind der Grund, warum Bayern und mehrere andere Bundesländer ihre Hilfsprogramme einstellen.

Eine Standard-Gebäudeversicherung beinhaltet zwar Schutz gegen Sturm und Hagel, nicht aber gegen Überschwemmung und Starkregen. „Nach den Unwetterereignissen der zurückliegenden Jahre wird künftig kaum einer behaupten können, dass man das Unglück nicht voraussehen konnte“, sagte Joachim Müller, Chef der Sachversicherung bei der Allianz Deutschland. „Man muss schlichtweg in Zukunft mit schlimmen Naturkatastrophen rechnen.“

In den vergangenen Jahren waren es gerade die sintflutartigen Starkregenereignisse, die die schlimmsten Schäden anrichteten. Allein die Sturzflut, die sich im Mai 2016 durch Simbach am Inn (Landkreis Rottal-Inn) wälzte, richtete einen Milliardenschaden an. „Die Schäden in Simbach wären natürlich versicherbar gewesen, wenn die Dorfbewohner auch nur den leisesten Verdacht gehabt hätten, dass sie eines Tages von einer Katastrophe dieses Ausmaßes betroffen sein könnten“, sagte Allianz-Manager Müller.

Bayern ist in Sachen Unwetter besonders gefährdet - insbesondere Niederbayern: „Der Landkreis Deggendorf ist in Bayern als auch bundesweit über einen Zeitraum von 15 Jahren am schlimmsten von extremen Wetterereignissen getroffen worden“, heißt es in einer Analyse des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV). Sturm, Hagel und Überschwemmungen richteten dort von 2002 bis 2016 Schäden von durchschnittlich rund 13 800 Euro pro Wohngebäude an. Auf den Plätzen zwei und drei im bundesweiten Katastrophenranking: Rottal-Inn mit 13 200 Euro und die Stadt Passau mit 12 900 Euro.

Die Nachfrage nach der Elementarversicherung ist in den vergangenen Jahren gestiegen: Bei Neuverträgen in der Gebäudeversicherung schließt inzwischen jeder zweite Hausbesitzer den Elementarschutz mit ab. Das sagte eine Sprecherin der Versicherungskammer Bayern. Auch in den Kommunen selbst wächst das Bewusstsein, denn Starkregen macht keinen Unterschied zwischen Privat- und Gemeindebesitz.

Das Problem sind die Altverträge: Die meisten Hausbesitzer in Bayern sind nach wie vor nicht gegen Starkregen und Hochwasser versichert. „Mit nur 34 Prozent versicherten Wohngebäuden liegt der Freistaat deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 43 Prozent“, heißt es beim GDV.

Viele Bürger versichern neue Autos rundum mit einer Vollkasko-Police gegen alles. Für ihr Heim aber hat die Mehrheit nur die notwendigsten Policen abgeschlossen. Der Verlust eines neuen Autos ist zweifelsohne teuer, doch der Verlust der eigenen vier Wände bedroht die Existenz. „Das Hauptproblem ist das mangelnde Risikobewusstsein vieler Haus- oder Wohnungsbewohner“, sagte Allianz-Sachversicherungschef Müller.

Härtefondsrichtlinien des Finanzministeriums

dpa