Bonn
Bundesnetzagentur: Deutschland braucht vierte Stromautobahn

06.08.2019 | Stand 02.12.2020, 13:20 Uhr
Bis 2030 soll der Ökoanteil im deutschen Stromnetz von derzeit 38 auf 65 Prozent steigen. −Foto: Nicolas Armer

Eins ist klar: Deutschlands Windstrom muss vom Norden in den Süden. Aber wie? Drei Stromautobahnen sind derzeit geplant. Nun dürfte ein weiteres Mega-Projekt hinzukommen.

Die Bundesnetzagentur hat den Weg geebnet für eine vierte deutsche Stromautobahn. Eine Gleichstrom-Verbindung zwischen Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sei erforderlich, teilte die Regulierungsbehörde am Dienstag in Bonn mit.

Die Behörde hatte einen Vorschlag der Netzbetreiber geprüft. Diese wollten die zusätzliche Trasse von Schleswig-Holstein bis nach Altbach in Baden-Württemberg bauen. Die Netzagentur signalisierte zwar vorerst grünes Licht, ist aber für eine kürzere Strecke nur bis Nordrhein-Westfalen.

Zudem plädiert die Behörde für den Ausbau von Wechselstromverbindungen, also kleineren Leitungen. Nach einer Konsultationsphase will die Netzagentur bis Ende dieses Jahres final entscheiden über den sogenannten Netzentwicklungsplan. Es gilt als wenig wahrscheinlich, dass die Behörde doch noch gegen die vierte deutsche Trasse votiert.

Der Streckenkorridor für die neue Stromautobahn geht von Heide in Schleswig-Holstein über das niedersächsische Wilhelmshaven bis nach Polsum und Uentrop in Nordrhein-Westfalen. Der genaue Streckenverlauf zwischen diesen Orten ist noch unklar - er wird erst in einem späteren Verfahren festgelegt, das dauert noch lange.

Der Grund für den Bedarf ist letztlich die Energiewende: Deutschland will raus aus der Atom- und Kohleverstromung und setzt stattdessen immer stärker auf Öko-Energieträger. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien im deutschen Stromnetz von derzeit 38 auf 65 Prozent steigen.

Der Haken daran: Ein Großteil des Stroms entsteht im windreichen Norden mit seinen Küsten, viele industrielle Großabnehmer sitzen hingegen im Süden und Westen der Republik. Um den Strom dahin zu bringen, wo er gebraucht wird, sind drei große Stromtrassen in Planung. „Suedlink“ geht vom südlichen Schleswig-Holstein bis ins württembergische Großgartach, „Suedostlink“ von Sachsen-Anhalt nach Bayern und „A-Nord“/„Ultranet“ von der Nordsee-Stadt Emden über NRW bis zum badischen Philippsburg. Die Vorhaben lösen in der örtlichen Bevölkerung mitunter starke Widerstände aus.

Um die Betroffenen mit ins Boot zu holen, setzt die Bundesnetzagentur auf Dialog. Am Dienstag startete sie eine Konsultation des Netzentwicklungsplans - Firmen, Verbände und Vertreter der Zivilgesellschaft können sich bis Mitte Oktober zu Wort melden. Bis Jahresende will die Regulierungsbehörde den Plan festlegen. Auf dessen Basis wiederum soll der Bundesgesetzgeber den Leitungskorridor in ein Gesetz aufnehmen - ist er hierin verankert, muss die neue Stromautobahn gebaut werden.

Die Netzbetreiber reagierten erleichtert. „Wir begrüßen, dass die Bundesnetzagentur den grundsätzlichen Bedarf für die von uns vorgeschlagene vierte Gleichstromverbindung bestätigt hat“, sagte eine Sprecherin von Tennet. „Diese Verbindung wird in Zukunft wichtig sein, um erneuerbaren Strom aus Schleswig-Holstein in die Wirtschaftsregionen und Ballungszentren in Westdeutschland zu bringen.“ Das sei besonders mit Blick auf den geplanten Kohleausstieg wichtig. Amprion äußerte sich ebenfalls positiv.

Auch aus der Politik kam Zustimmung. Der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Joachim Pfeiffer, nannte die Entscheidung der Netzagentur konsequent. „Der geplante Umbau der Energieversorgung, insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nur dann funktionieren, wenn er Hand in Hand mit dem Ausbau und der Modernisierung der Stromnetze geht“, sagte der CDU-Politiker. „Wer A sagt, muss auch B sagen, wer mehr Strom aus Wind und Sonne will, kann nicht gegen den notwendigen Netzausbau sein.“

Die energiewirtschaftliche Sprecherin der Grünen, Ingrid Nestle, sagte, es werde deutlich, dass die Erneuerbaren-Ziele und der Kohleausstieg an den Stromtrassen nicht scheitern werden. Es brauche einen Ausbau der Netze, „der einhergehen muss mit einer höchstmöglichen Transparenz und einer klaren Kommunikation“.

Wie teuer die neue Stromtrasse wird, ist noch nicht einschätzbar. Klar ist nur, dass es um Milliarden geht. Die separate Stromautobahn Suedlink kostet schätzungsweise zehn Milliarden Euro und die kürzere Verbindung Suedostlink vier bis fünf Milliarden Euro.

Die Kosten trägt am Ende des Tages der Verbraucher über die Stromrechnung. Allerdings werden die Investitionskosten, die von der Bundesnetzagentur genehmigt werden, über mehrere Jahrzehnte abgeschrieben - die Stromrechnung dürfte deswegen also nicht durch die Decke gehen, zumal die Verbesserung des Energienetzes zu einer Stabilisierung der Stromkosten beitragen soll.

dpa